„… einmal muß dieser Krieg doch ein Ende haben?!“

Die Sehnsucht nach Frieden und die russische Oktoberrevolution

Ende des Jahres 1916 wurden in der österreichisch-ungarischen Bevölkerung immer mehr Stimmen laut, die einen baldigen Frieden ersehnten und wünschten. Die lange Kriegsdauer, die zahllosen Todesopfer, die der Krieg bis zu diesem Zeitpunkt schon gefordert hatte, und die immer schlechter werdende Ernährungs- und Versorgungslage ließen die Menschen „kriegsmüde“ werden.
 

Einer der zahlreichen Monatsberichte der Briefzensur aus dem Jahr 1917 fasste die Stimmung dementsprechend in folgenden Worten zusammen: „[…] ein Abflauen jeglichen Interesses an den politischen und militärischen Ereignissen – mit Ausnahme aller Unternehmungen, die auf einen baldigen Frieden abzielen.“

Doch nicht nur die Volksmeinung, sondern auch Kaiser Karl, der am 22. November 1916 den Thron bestiegen hatte, und der neu ernannte Außenminister Graf Czernin strebten danach, „den ‚ererbten Krieg‘ so bald wie möglich zu beenden“. Kaiser Karl richtete eine „Friedensnote“ an die neutralen Mächte USA, Schweiz und Spanien zur Weiterleitung an die Entente. Außenminister Graf Czernin gab im März 1917 ein Interview, in dem er sich für „eine Friedenskonferenz aller kriegsführenden Staaten“ aussprach und gleichzeitig die Rahmenbedingungen festlegte, innerhalb derer Österreich-Ungarn zu Verhandlungen bereit sei. Diese umfassten die Garantie für den Fortbestand der Monarchie und die Einforderung eines „für beide Seiten ‚ehrenvollen‘ Friedens“.

Verstärkt wurde die öffentliche Diskussion über den Frieden durch die revolutionären Geschehnisse in Russland Ende des Jahres 1917. Die sogenannte „Oktoberrevolution“ wurde von weiten Teilen der Bevölkerung Österreich-Ungarns als hoffnungsvolles Ereignis für einen baldigen Frieden gesehen. Die Geschehnisse in Russland wurden auch von Mathilde Hanzel mit großem Interesse verfolgt. Sie schrieb am 8. November 1917 an ihren Gatten: „Eben brachte das Abendblatt die Nachricht von der Revolution d. Arb. u. Soldatenrates gegen die Kerenskij-Regierung. Wenn diese Nachricht wahr ist, dann dürften wir doch dem Frieden näher sein, viel näher […].“

Die russische Revolution und das damit in Verbindung gebrachte mögliche Ende des Krieges war auch in ihren weiteren Briefen aus dieser Zeit ein vorherrschendes Thema der Korrespondenz. So hieß es am 9. November 1917: „[…] die Hauptsache ist, daß wir mit den Russen Frieden bekommen und das scheint doch endlich zu werden. – Herz, wie sehne ich mich nach der Nachricht, daß eine erste Friedensverhandlung beginnt […].“

Es sollte noch einen Monat dauern, bis am 5. Dezember 1917 ein zehntägiger Waffenstillstand zwischen Vertretern Österreich-Ungarns, des Deutschen Reiches und Russlands unterzeichnet war. Eine erste Runde offizieller Friedensverhandlungen erfolgte Ende Dezember 1917. Schließlich unterzeichneten Österreich-Ungarn, das Deutsche Reich, die Türkei, Bulgarien und Sowjetrussland am 3. März 1918 einen Friedensvertrag, der heute als Friede von Brest-Litowsk bekannt ist.

Bibliografie 

Ehrenpreis Petronilla. Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005

Kochanek, Hildegard: Friede von Brest-Litowsk, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs, 3. Auflage, Paderborn/München/u.a. 2009, 506-508

Rebhan-Glück, Ines: „Wenn wir nur glücklich wieder beisammen wären …“ Der Krieg, der Frieden und die Liebe am Beispiel der Feldpostkorrespondenz von Mathilde und Ottokar Hanzel (1917/18), Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2010

Rauchensteiner, Manfried: Österreich-Ungarn, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 3. Auflage, München/Wien 2009, 64-86

Spann, Gustav: Zensur in Österreich während des Ersten Weltkriegs 1914-1918, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien, Wien 1972

 

Zitate:

„einmal muß dieser Krieg ...“: Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 30.05.1918, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

„[…] ein Abflauen jeglichen Interesses ...“: Monatsbericht, zitiert nach: Spann, Gustav:  Zensur in Österreich während des Ersten Weltkriegs 1914-1918, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien, Wien 1972, 333

„den ‚ererbten Krieg‘ so bald ...“: zitiert nach: Ehrenpreis Petronilla. Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 189

„eine Friedenskonferenz aller kriegsführenden ...“: zitiert nach: Ehrenpreis Petronilla. Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 213

„für beide Seiten ‚ehrenvollen‘ Friedens“: zitiert nach: Ehrenpreis Petronilla. Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 213

„Eben brachte das Abendblatt ...“: Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 8.11.1917, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

 „[…] die Hauptsache ist, daß wir …“: Mathilde Hanzel an Ottokar Hanzel, 9.11.1917, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Mathilde Hanzel (geb. Hübner)

    Die in Wien wohnhafte Bürgerschullehrerin Mathilde Hanzel engagierte sich während des Ersten Weltkriegs im Umfeld des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins wiederholt für den Frieden.

  • Person

    Ottokar Hanzel

    Der im Zivilberuf als Gymnasiallehrer tätige Ottokar Hanzel aus Wien war während des Ersten Weltkriegs als Landsturm-Hauptmann an der Italienfront eingesetzt.

  • Objekt

    Für den Frieden

    Abgebildet auf der 1000-Schilling-Note ist Bertha von Suttner, die bis heute wohl bekannteste Vertreterin der österreichischen Friedensbewegung. Während des Ersten Weltkriegs gab es viele Personen und Gruppierungen, die ihrem Beispiel folgten und gegen den Krieg und für den Frieden eintraten. Obwohl ihr Einfluss gering blieb, war ihr „Ja“ zum Frieden gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden und kontrollierenden Zensur ein besonders mutiges Engagement gegen den Krieg.

  • Objekt

    Das „Ich“ im Krieg

    Lange Zeit wurde der Erste Weltkrieg nur aus dem Blickwinkel öffentlicher Persönlichkeiten oder Generäle erzählt. Wie die Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg erlebte und überlebte, blieb hingegen im Dunkel der Geschichte verborgen. Gerade sogenannte „Ego-Dokumente“ - wie dieses Tagebuch - geben uns jedoch neue und vielfältige Einblicke in die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sinndeutungen der Menschen im Krieg.

  • Person

    Karl I.

    Der letzte Kaiser bestieg 1916 den Thron und regierte bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im November 1918.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?