Friede und Sprache – die Friedens- und die Esperantobewegung

Zwischen der Esperantobewegung und der Friedensbewegung gab es in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zahlreiche enge Beziehungen sowie inhaltliche und personelle Überschneidungen, die den Historiker Bernhard Tuider dazu veranlassten, von „Parallelbewegungen“ zu sprechen.
 

Esperanto ist wohl die bekannteste Plansprache und bis heute jene mit der größten Sprachgemeinschaft. Ihre Entstehung und Verbreitung ist in der Sammlung für Plansprachen der Österreichischen Nationalbibliothek umfassend archiviert und dokumentiert. Sie basiert auf einer im Jahr 1887 unter dem Pseudonym „Dr. Esperanto“ in Warschau erschienenen Broschüre Internationale Sprache. Vorrede und vollständiges Lehrbuch, in der Grundlagen und grammatikalischen Regeln der Sprache formuliert wurden. Hinter dem Autoren-Pseudonym verbarg sich der Augenarzt und Philologie Ludwik Zamenhof, der schon in seiner Schulzeit den Gedanken hatte, eine Sprache zu schaffen, die den internationalen Austausch und die Verständigung untereinander ermöglichen und fördern sollte.

Zamenhofs neue Sprache erfreute sich relativ früh nach dem Erscheinen seines Lehrbuchs (Unua Libro) einiger Beliebtheit und eines regen Zulaufs an Interessierten. So wurde bereits im Jahr 1889 die erste Zeitschrift in Esperanto veröffentlicht; daneben erschienen im Laufe der 1890er Jahre zahlreiche Lehr- und Grammatikbücher sowie erste Übersetzungen bekannter Werke der Weltliteratur. Zu dieser Zeit wurden auch die diversen Vertreter der einzelnen Friedensgesellschaften auf Esperanto aufmerksam. Bei den Weltfriedenskongressen, die unter anderem 1905 in Luzern und 1907 in München abgehalten wurden, diskutierten die Anwesenden nicht nur Fragen nach einer Welthilfssprache und hier insbesondere Esperanto, sondern Sprecher und Sprecherinnen dieser Sprache beriefen dabei auch eigene Versammlungen ein. Die daran Teilnehmenden waren in erster Linie Mitglieder der Internacia Societo Esperantista por la Paco, einer Esperanto-Friedensgesellschaft, die 1905 durch den französischen Pazifisten Gaston Moch gegründet worden war. Sie setzte sich für internationale Verständigung durch Zuhilfenahme und Verwendung von Esperanto ein und vertrat – ebenso wie die meisten Anhänger der damaligen Friedensbewegungen – die Ansicht, dass zukünftige Lösungen von Konflikten vordergründig mittels internationaler Schiedsgerichtsbarkeit erreicht werden sollten. Daneben veröffentlichte die Friedensgesellschaft die Zeitschrift Espero Pacifista und gab im Rahmen einer Buchreihe in Esperanto übersetzte Arbeiten prominenter Pazifisten, wie beispielsweise Henry Dunant und Alfred H. Fried, heraus. Umgekehrt wurden in mehreren pazifistischen Zeitschriften, wie der Friedens-Warte, regelmäßig Aufsätze über Esperanto oder sogar in Esperanto veröffentlicht und schließlich wurde diese als Korrespondenzsprache innerhalb der Österreichischen Friedensgesellschaft (ÖFG) zugelassen.

Alfred H. Fried begann etwa um das Jahr 1901 selbst Esperanto zu lernen, wie zahlreiche überlieferte Briefe belegen, die er in dieser Sprache verfasst oder erhalten hat. Im Jahr 1903 schuf Fried in Berlin zudem eine eigene Esperantogruppe und zwei Jahre später wurde er Mitglied im Esperanto-Klubo-Vieno. Alfred H. Fried beschäftigte sich sehr eingehend mit Esperanto und war der Sprache gegenüber sehr positiv eingestellt, vor allem in Hinblick auf ihre künftige Nutzung für die Ziele der pazifistischen Bewegungen und ihrer Kommunikation untereinander. In einem seiner Briefe hieß es darüber: „Esperanto soll ein universales Verständigungsmittel sein, und ist es. Ich verständige mich mit Leuten, deren Sprache ich nicht kenne, sehr gut damit, mündlich wie schriftlich.“

Bibliografie 

Tuider, Bernhard: „Wie Sie sehen, war Ihre Anregung, Esperanto zu lernen, nicht vergebens.“ – Beziehungen zwischen Esperanto- und Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, in: biblos. Beiträge zu Buch, Bibliothek und Schrift, Heft: Sondersprachen, Kunstsprachen, 2/2011,  29–49

 

Zitate:

„Parallelbewegungen“ : zitiert nach: Tuider, Bernhard: „Wie Sie sehen, war Ihre Anregung, Esperanto zu lernen, nicht vergebens.“ – Beziehungen zwischen Esperanto- und Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, in: biblos. Beiträge zu Buch, Bibliothek und Schrift, Heft: Sondersprachen, Kunstsprachen, 2/2011, 30

„Esperanto soll ein universales Verständigungsmittel...“: Alfred H. Fried an Fritz Mauthner, 22.04.1904, LON, IPM, Fried Papers, Box 68, zitiert nach: Tuider, Bernhard: „Wie Sie sehen, war Ihre Anregung, Esperanto zu lernen, nicht vergebens.“ – Beziehungen zwischen Esperanto- und Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, in: biblos. Beiträge zu Buch, Bibliothek und Schrift, Heft: Sondersprachen, Kunstsprachen, 2/2011, 40

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Alfred Hermann Fried

    Alfred Hermann Fried gründete 1899 die bis heute erscheinende Zeitschrift Die Friedens-Warte und wurde für seine Friedensaktivitäten 1911 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

  • Objekt

    Für den Frieden

    Abgebildet auf der 1000-Schilling-Note ist Bertha von Suttner, die bis heute wohl bekannteste Vertreterin der österreichischen Friedensbewegung. Während des Ersten Weltkriegs gab es viele Personen und Gruppierungen, die ihrem Beispiel folgten und gegen den Krieg und für den Frieden eintraten. Obwohl ihr Einfluss gering blieb, war ihr „Ja“ zum Frieden gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden und kontrollierenden Zensur ein besonders mutiges Engagement gegen den Krieg.