Die zunehmende Militarisierung in Österreich-Ungarn im Laufe des 19. Jahrhunderts beruhte auf einer polar und dichotom angeordneten Geschlechterordnung. Wie die Historikerin Daniela Lackner betonte, wurden „Männer […] systematisch zu Repräsentationsfiguren von Militär, Gewalt und Krieg stilisiert, Frauen durch den Mechanismus der Differenz eindeutig auf Seiten des Zivilen, des Friedens und der Friedfertigkeit positioniert“.
Dass es sich bei diesen Zuschreibungen um brüchige Konzeptionen handelte, die mit historischen Realitäten nur vereinzelt übereinstimmten, konnten Forschungen aus der Frauen- und Geschlechtergeschichte beziehungsweise der New Military History inzwischen zeigen. Solche Arbeiten verwiesen unter anderem darauf, dass Frauen auf verschiedenste Art und Weise an Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen beteiligt waren; sei es als Opfer, (Mit-) Täterinnen oder Kämpferinnen, oder durch die Zurverfügungstellung von ökonomischen Ressourcen. Dies gilt für die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts genauso wie für militärische Konflikte und Kriege früherer Jahrhunderte.
Vor und während des Ersten Weltkrieges spielte das Konzept der „friedfertigen Frau“ jedoch vor allem bei den Vertreterinnen der ‚radikalen‘ bürgerlichen Frauenbewegung und deren Kritik an Militarismus und Krieg noch eine tragende Rolle.
Die Pazifistin und Vertreterin des ‚radikalen‘ Flügels der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung Lida Gustava Heymann vertrat beispielsweise die Ansicht, dass ein „männliches Prinzip“, das von Gewalt beherrscht sei, im unmissverständlichen Gegensatz zu einem „weiblichen Prinzip“, das sich durch Güte und gegenseitige Hilfe auszeichne, stünde. Diesen Gegensatz leitete sie zwar nicht aus der biologischen Natur der Geschlechter ab, da das „weibliche Prinzip“ auch von „besonders hochstehenden Männern“ repräsentiert werden könnte. Allerdings würde die Frau durch ihre Rolle als Mutter das Leben mehr achten als der Mann, woraus sie folgerte, dass „weibliches Wesen, weiblicher Instinkt (...) identisch mit Pazifismus“ sei. Die Militarismuskritik von Lida Gustava Heymann basierte damit unter anderem auf einem Konzept, das Weiblichkeit oder ‚die Frau‘ mit Pazifismus gleichsetzte.
In der Kritik an Militarismus und Krieg der österreichischen Vertreterinnen des „radikalen Flügels“ (Gisela Urban) der bürgerlichen Frauenbewegung gelangte dieses Konzept zu einer ähnlichen Anwendung. Für Rosa Mayreder, Mitglied und ehemalige Vizepräsidentin des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins, bestanden die Ursachen für Kriege – wie für ihre Mitstreiterin Auguste Fickert – zwar zum einen in ökonomischen und politischen Faktoren. Zum anderen argumentierte sie jedoch, dass Kriege hauptsächlich durch die „Instinkte der primitiven Maskulinität“ verursacht würden. Denn, so Susan Zimmermann, auch für sie stand ein durch die männlich dominierte Gesellschaft repräsentiertes „Gesetz der Vernichtung“, das sich im Extremfall im Führen von Kriegen äußerte, im fundamentalen Gegensatz zu einem „Gesetz der Lebenserhaltung“, das den Frauen immanent sei. Auch Rosa Mayreder leitete die „Friedfertigkeit der Frau“ damit aus der ‚naturgegebenen‘ Rolle der Frau als Mutter her. Sie war darüber hinaus der Ansicht, dass die Menschheit nur dann einen dauerhaften Frieden erlangen könne, wenn diese ‚weiblichen Qualitäten‘ aktiv in die politische und soziale Gesellschaftsordnung einbezogen werden.
Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft. Frauen gegen den Krieg, Frankfurt a. M. 1980, 65-70
Davy, Jennifer Anne: German Women’s Peace Activism and the Politics of Motherhood: A Gendered Perspective of Historical Peace Research, in: Benjamin Ziemann (Hrsg.): Perspektiven der Historischen Friedensforschung, Essen 2002, 111-132
Davy, Jennifer Anne: Wege aus dem Militarismus – Die feministische und antimilitaristische Militarismuskritik der deutschen Pazifistinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, in: Wolfram Wette (Hrsg.): Militarismus in Deutschland 1871 bis 1945. Zeitgenössische Analysen und Kritik, Münster 1999, S. 190-215
Hagemann, Karen: Militär, Krieg, Geschlechterverhältnisse. Untersuchungen, Überlegungen und Fragen zur Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Ralf Pröve (Hrsg.): Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1997, 35-88
Hämmerle, Christa: Von den Geschlechtern der Krieges und des Militärs. Forschungseinblicke und Bemerkungen zu einer neuen Debatte, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte?, Paderborn/Wien 2000, 229-265
Lackner, Daniela: Die Frauenfriedensbewegung in Österreich zwischen 1899 und 1915, Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008
Rebhan-Glück, Ines: Die österreichische Frauenbewegung und der Krieg, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigel (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 82-87.
Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 88-96
Zitate:
„Männer […] systematisch zu Repräsentationsfiguren ... “: zitiert nach: Lackner, Daniela: Die Frauenfriedensbewegung in Österreich zwischen 1899 und 1915, Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008, 107
„ein männliches Prinzip“: zitiert nach: Heymann, Lida Gustava; Weiblicher Pazifismus (1917/1922), in: Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft. Frauen gegen den Krieg, Frankfurt a. M. 1980, 65
„besonders hochstehenden Männern“: zitiert nach: Heymann, Lida Gustava: Weiblicher Pazifismus (1917/1922), in: Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft. Frauen gegen den Krieg, Frankfurt a. M. 1980, 67
„weibliches Wesen, weiblicher Instinkt ...“: zitiert nach: Heymann, Lida Gustava: Weiblicher Pazifismus (1917/1922), in: Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft. Frauen gegen den Krieg, Frankfurt a. M. 1980, 66
„Instinkte der primitiven Maskulinität“: Mayreder, Rosa: Geschlecht und Kultur. Essays, Jena/Leipzig 1923, zitiert nach: Lackner, Daniela: Die Frauenfriedensbewegung in Österreich zwischen 1899 und 1915, Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008, 115
„Gesetz der Vernichtung“ .... „Gesetz der Lebenserhaltung“:: Mayreder, Rosa: Zur Kritik der Weiblichkeit. Essays, Jena 1910, zitiert nach: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 94-95
-
Kapitel
- „Die Waffen nieder“ – Bertha von Suttner, die prominente österreichische Friedensaktivistin
- „Die Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“ – eine nur kurze Geschichte?
- Alfred H. Fried und die Friedensbewegung im Krieg – Zwischen Zensur und Spott
- Der „Bund Österreichischer Frauenvereine“ und das Ende eines Friedensengagements
- In Den Haag oder der ‚Verrat‘ an der kriegsführenden Nation
- „… und morgen geht’s an ein fröhliches Werben f. den Frieden.“
- Der Frieden und die soziale Frage
- Die Idee von der „friedfertigen Frau“?
- Friede und Kirche – oder „Du sollst nicht töten“!
- Friede und Sprache – die Friedens- und die Esperantobewegung
- Para Pacem – die etwas andere österreichische Friedensgesellschaft
- Einzelinitiativen für den Frieden – das Beispiel Julius Meinl und Heinrich Lammasch
- „… einmal muß dieser Krieg doch ein Ende haben?!“