Einzelinitiativen für den Frieden – das Beispiel Julius Meinl und Heinrich Lammasch

Julius Meinl, der Vorstand des gleichnamigen Lebensmittelkonzerns, war eine der wenigen Persönlichkeiten, die schon früh die katastrophale Ernährungs- und Versorgungssituation in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie realistisch einzuschätzen wusste und daraus die Notwendigkeit ableitete, dass Österreich-Ungarn eine Initiative für die Herbeiführung eines baldigen Friedens starten müsse.


 

Daher gründete er – als Ort und Medium für Diskussionen und den Austausch von Friedensideen – im Dezember 1915 die Österreichische Politische Gesellschaft (ÖPG). Sie richtete sich an eine ganz bestimmte Klientel, wie die Teilnehmerlisten der von der Gesellschaft organisierten Diskussionsabende zeigen. Es waren in erster Linie Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren und Politiker, darunter der Straf- und Völkerrechtler Heinrich Lammasch, der Jurist und Politiker Josef Redlich und der aus Deutschland stammende Philosoph und Pädagoge Friedrich Wilhelm Förster. Gemeinsam mit Julius Meinl reisten diese drei Männer im Dezember 1917 in die Schweiz, um dort mit dem amerikanischen Professor George Davis Herron, einem Vertrauten des Präsidenten Woodrow Wilson, Gespräche über die Möglichkeiten eines Verständigungsfriedens zu führen.

Schon seit Herbst des Jahres 1916 hatte Julius Meinl wiederholt Denkschriften verfasst, die inhaltlich um die Themen der Versorgungslage in der Monarchie, der Friedensziele und damit verbunden der Notwendigkeit einer gegenseitigen Verständigung der Krieg führenden Mächte kreisten. Sie wurden bei den Diskussionsabenden der ÖPG debattiert und durch Heinrich Lammasch teilweise auch zu Diskussionsthemen im Ministerium des Äußeren.

Inhaltlich vertrat die Österreichische Politische Gesellschaft die Ansicht, dass die Erreichung eines internationalen Friedens eng an einen nationalen Frieden innerhalb der Monarchie gekoppelt sei. Denn erst wenn letzterer erreicht wäre, könnte Österreich-Ungarn als gutes Beispiel vorangehen und durch Kaiser Karl – der als „Friedensfürst“ propagiert wurde, weil er als Staatsoberhaupt nicht am Ausbruch des Krieges von 1914 beteiligt gewesen war – Verhandlungen zu einem allgemeinen Frieden eröffnen. Vor allem Heinrich Lammasch war der Ansicht, dass Kaiser Karl prädestiniert dazu wäre, durch seine politischen Taten, wie etwa die Wiedereinberufung des Reichsrates im Mai 1917 oder die Absetzung des ungarischen Ministerpräsidenten Istvan Tisza, den Frieden herbeizuführen. Lammasch war überzeugt, dass der Kaiser dadurch sowohl an Ansehen und Zustimmung unter der eigenen Bevölkerung als auch unter den neutralen und ‚feindlichen‘ Mächten gewinnen könnte.

Im Februar 1918 versuchte er daher erneut, über Professor Herron Kontakte zur amerikanischen Regierung zu knüpfen, doch seine Bemühungen scheiterten ebenso wie jene von Julius Meinl an der Opposition des Ministerpräsidenten Graf Ottokar von Czernin und Österreich-Ungarns deutschem Verbündeten.

Bibliografie 

Benedikt, Heinrich: Die Friedensaktion der Meinlgruppe 1917/18. Die Bemühungen um einen Verständigungsfrieden nach Dokumenten, Aktenstücken und Briefen, Graz/Köln, 1962

Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 13–132

Morgenbrod, Birgitt: Wiener Großbürgertum im Ersten Weltkrieg. Die Österreichische Politische Gesellschaft, Wien 1984

 

Zitate:

„Gemeinsam mit Julius Meinl reisten …“: Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 55

„Schon seit Herbst des Jahres …“: Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 56

„Vor allem Heinrich Lammasch war der Ansicht …“: Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 62

„Im Februar 1918 versuchte er daher erneut …“: Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 63

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Julius Meinl II.

    Julius Meinl II. war Unternehmer und leitete den Lebensmittelkonzern Julius Meinl AG. Während der vier Kriegsjahre setzte er sich – unter anderem im Rahmen der von ihm gegründeten Österreichischen Politischen Gesellschaft – für die Herbeiführung eines Verständigungsfriedens ein.

  • Objekt

    Für den Frieden

    Abgebildet auf der 1000-Schilling-Note ist Bertha von Suttner, die bis heute wohl bekannteste Vertreterin der österreichischen Friedensbewegung. Während des Ersten Weltkriegs gab es viele Personen und Gruppierungen, die ihrem Beispiel folgten und gegen den Krieg und für den Frieden eintraten. Obwohl ihr Einfluss gering blieb, war ihr „Ja“ zum Frieden gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden und kontrollierenden Zensur ein besonders mutiges Engagement gegen den Krieg.

  • Person

    Karl I.

    Der letzte Kaiser bestieg 1916 den Thron und regierte bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im November 1918.