In Den Haag oder der ‚Verrat‘ an der kriegsführenden Nation

Der sehr viel kleinere, schon 1930 von Gisela Urban als „radikal“ bezeichnete Allgemeine Österreichische Frauenverein, positionierte sich während des Ersten Weltkrieges von Anfang an gegen den Krieg. Anders als der BÖFV verfolgten die Vertreterinnen dieses Vereins weiter ihr bereits vor 1914 entwickeltes pazifistisches Engagement.


 

Frauen aus dem AÖFV fuhren daher auch 1915 zu dem internationalen Frauenfriedenskongress, der vom 28. April bis zum 1. Mai im neutralen Holland in Den Haag stattfand. Obwohl von den offiziellen Stellen der Krieg führenden Mächte versucht wurde, die Aus- und Einreise zu verhindern, konnten, so die Historikerin Anika Wilmers, insgesamt „1.136 Frauen aus zwölf Ländern“ an dieser Veranstaltung teilnehmen. Wie Susan Zimmermann herausarbeitete, reisten aus der Habsburgermonarchie sechs Frauen an, die Mitglieder des AÖFV und des Neuen Frauenklubs waren beziehungsweise keiner Organisation angehörten.

Die Kongressteilnehmerinnen forderten die Einberufung einer Konferenz von neutralen Staaten, in deren Rahmen Vorschläge für einen „Verständigungsfrieden“ ausgearbeitet werden sollten, um so eine Grundlage für künftige Friedensverhandlungen zu schaffen. Darüber hinaus wurde von den Beteiligten ein Internationaler Frauenausschuss für dauernden Frieden, die Vorläuferorganisation der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, ins Leben gerufen.

Nach der Rückkehr in ihre Heimatländer stießen diese Frauen in erster Linie auf Ablehnung. Ihre Teilnahme und Zusammenarbeit mit Frauen aus ‚feindlichen‘ Kriegsländern wurde als „Verrat an dem Vaterlande“ interpretiert.

Die Vertreterinnen des AÖFV ließen sich davon jedoch nicht beirren, sondern setzten ihre Friedensaktivitäten weiter fort. Im Laufe der vier Kriegsjahre versuchten sie mit ihrer pazifistischen Position eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, indem sie Publikationen und Themenhefte über den Frieden herausgaben und öffentliche Aufrufe und Friedensversammlungen organisierten. 1917 wurde außerdem eine Friedenspartei als Sektion des AÖFV ins Leben gerufen.

Ende des Jahres 1917 publizierte der Verein die beiden Broschüren Frauen auf zum Kampf für den Frieden und Gewalt oder Verständigung, in denen die Mitglieder des AÖFV erstmals, so die Historikerin Renate Flich, die Ansicht vertraten, dass die Frauen nur durch eine aktive Verweigerung der Kriegsarbeit ihre (Mit)Schuld ablegen und so zur Herbeiführung des Friedens beitragen könnten.

Diese Anregung ließ sich jedoch nicht in die Praxis umsetzen, da die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Frauenorganisationen ein einheitliches Auftreten gegen den Krieg und für den Frieden verhinderten.

 

Bibliografie 

Anderson, Harriet: Utopian Feminism. Women’s Movements in Fin-de-Siecle Vienna, New Haven 1992, 125

Donat Helmut/Holl Karl (Hrsg.): Die Friedensbewegung: organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Düsseldorf 1983

Flich, Renate: Frauen und Frieden. Analytische und empirische Studie über die Zusammenhänge der österreichischen Frauenbewegung und der Friedensbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes seit 1960, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 410-461

Lackner, Daniela: Die Frauenfriedensbewegung in Österreich zwischen 1899 und 1915, Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008

Rebhan-Glück, Ines: Die österreichische Frauenbewegung und der Krieg, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigel (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 82-87

Wilmers, Annika: Zwischen den Fronten. Friedensdiskurse in der internationalen Frauenfriedensbewegung 1914-1919, in: Jennifer Anne Davy/Karen Hagemann/Ute Kätzel (Hrsg.): Frieden – Gewalt – Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung, Essen 2005 (Frieden und Krieg 5), 123-143

Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 88-96

 

Zitate:

„radikal“: zitiert nach: Urban, Gisela: Die Entwicklung der österreichischen Frauenbewegung. Im Spiegel der wichtigsten Vereinsgründungen, in: Frauenbewegung, Frauenbildung und Frauenarbeit in Österreich. Hrsg. im Auftrag des Bundes Österreichischer Frauenvereine, Wien 1930, 34

„1.136 Frauen aus zwölf Ländern“: zitiert nach: Wilmers, Annika: Zwischen den Fronten. Friedensdiskurse in der internationalen Frauenfriedensbewegung 1914-1919, in: Jennifer Anne Davy/Karen Hagemann/Ute Kätzel (Hrsg.): Frieden – Gewalt – Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung, Essen 2005 (Frieden und Krieg 5), 126

„[…] reisten aus der Habsburgermonarchie sechs Frauen …“: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 88

"Verrat an dem Vaterlande": Marianne Hainisch, Die Friedensbestrebungen und die Frauen, in: Der Bund, (1914), 9/8, 11, zitiert nach: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 89

„Friedenspartei als Sektion ...“: Flich, Renate: Frauen und Frieden. Analytische und empirische Studie über die Zusammenhänge der österreichischen Frauenbewegung und der Friedensbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes seit 1960, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 431

„[…] dass die Frauen nur durch eine aktive Verweigerung ….“: Flich, Renate: Frauen und Frieden. Analytische und empirische Studie über die Zusammenhänge der österreichischen Frauenbewegung und der Friedensbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes seit 1960, in: Manfried Rauchensteiner (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden. Wien 1987, 432

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Mathilde Hanzel (geb. Hübner)

    Die in Wien wohnhafte Bürgerschullehrerin Mathilde Hanzel engagierte sich während des Ersten Weltkriegs im Umfeld des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins wiederholt für den Frieden.

  • Objekt

    Für den Frieden

    Abgebildet auf der 1000-Schilling-Note ist Bertha von Suttner, die bis heute wohl bekannteste Vertreterin der österreichischen Friedensbewegung. Während des Ersten Weltkriegs gab es viele Personen und Gruppierungen, die ihrem Beispiel folgten und gegen den Krieg und für den Frieden eintraten. Obwohl ihr Einfluss gering blieb, war ihr „Ja“ zum Frieden gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden und kontrollierenden Zensur ein besonders mutiges Engagement gegen den Krieg.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?