Der Frieden und die soziale Frage

Nach Ausbruch des Krieges verfolgte die Mehrheit der Sozialdemokraten – zumindest was die ersten beiden Kriegsjahre anbelangte – eine sogenannte „Burgfriedenspolitik“. Von ihrem friedenspolitischen Engagement aus den Jahren vor 1914 war nur mehr wenig zu merken; nun unterstützte man den Krieg.


 

Während in den Jahren vor Ausbruch des Krieges die sozialdemokratische Partei die Ansicht vertrat, dass nur durch die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung – als deren Träger unter anderem auch der Militarismus angesehen wurde – eine dauerhafte Friedensordnung entstehen könne, befiel sie nach 1914, wie der Historiker Christoph Gütermann es formulierte, „eine große Lähmung. Diese Haltung, so Gütermann, brach erst 1916/1917 auf, als Friedrich Adler (im Oktober 1916) ein Attentat auf Ministerpräsident Stürgkh unternahm und schließlich am Parteitag 1917 Karl Renners sozialpatriotische Linie Schiffbruch erlitt.

Zum Teil eingebunden in die internationale sozialistische Friedensbewegung trat vor 1914 vor allem die sozialdemokratische Frauenbewegung immer wieder vehement gegen Militarismus und Krieg ein. Durch den Paragraphen 30 des Vereinsgesetzes, durch den ihre Eingliederung in die Gesamtpartei unmöglich war, konnten ihre Vertreterinnen, so die Historikerin Susan Zimmermann, zum Teil „radikalere Positionen […] beziehen“ und vertreten. Gleichzeitig wurde dadurch jedoch, so wiederum Zimmermann, ihr Einfluss auf die Gesamtpartei und deren politische Linie geschwächt. Führende Mitglieder der Arbeiterinnenbewegung wie Adelheid Popp wurden nicht selten von kontrollierenden Parteiorganen in ihren Vorträgen gegen Krieg und Militarismus unterbrochen oder gar zensuriert. Dabei waren es vor allem die großen Stimmrechtsversammlungen der sozialdemokratischen Frauen, auf denen antimilitaristische Positionen und Friedensideen propagiert wurden. Im Rahmen einer Frauenstimmrechts-Demonstration in Wien betonte Adelheid Popp beispielsweise: „Wir wollen aber auch dagegen kämpfen, daß Millionen verschwendet werden für Mordzwecke und Bruderkrieg. Wir wollen, daß die Mordrüstungen ein Ende nehmen und diese Millionen verwendet werden für die Bedürfnisse des Volkes!“.

Darüber hinaus nahmen österreichische sozialdemokratische Vertreterinnen im April 1914, so Susan Zimmermann, auch an einer internationalen Frauenversammlung in Berlin teil, wo sie gegen den Militarismus und für einen weltweiten Frieden eintraten. Doch schon wenige Monate später, mit Ausbruch des Krieges erfuhr dieses Engagement eine Zäsur, indem die Mehrheit der sozialdemokratischen Frauen nun die kriegsunterstützende Linie der Gesamtpartei übernahm, was sich unter anderem in ihrer Mitarbeit an der „Frauenhilfsaktion im Kriege“ niederschlug. Nichtsdestotrotz wurde bereits ab 1915 auf fast allen Versammlungen der Arbeiterinnenbewegung wieder ein baldiges Kriegsende gefordert.

 

 

Bibliografie 

Anderson, Harriet: Utopian Feminism. Women’s Movements in Fin-de-Siecle Vienna, New Haven 1992, 125

Flich, Renate: Frauen und Frieden. Analytische und empirische Studie über die Zusammenhänge der österreichischen Frauenbewegung und der Friedensbewegung mit besonderer Rücksicht des Zeitraumes seit 1960, in: Rauchensteiner, Manfried (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 410-461

Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891-1985, in: Rauchensteiner, Manfried (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 13-132

Lackner, Daniela: Die Frauenfriedensbewegung in Österreich zwischen 1899 und 1915, Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008

Rebhan-Glück, Ines: Die österreichische Frauenbewegung und der Krieg, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigel (Hrsg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 82-87

Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.), Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 88-96

 

Zitate:

„eine große Lähmung.“: zitiert nach: Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891-1985, in: Rauchensteiner, Manfried (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 73

„Diese Haltung brach erst 1916/1917 auf, …“: Gütermann, Christoph: Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891-1985, in: Rauchensteiner, Manfried (Hrsg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 73

„radikalere Positionen […] beziehen“: zitiert nach: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.), Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 90

„[…] Einfluss auf die Gesamtpartei …“:  Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 90

„Wir wollen aber auch dagegen kämpfen, ...“: Adelheid Popp, zitiert nach: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.), Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 90

„[…] internationalen Frauenversammlung in Berlin …“: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.), Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 90

„Nichtsdestotrotz wurde bereits ab 1915 …“: Zimmermann, Susan: Die österreichische Frauen-Friedensbewegung vor und im Ersten Weltkrieg, in: Forum Alternativ (Hrsg.): Widerstand gegen Krieg und Militarismus in Österreich und Anderswo, Wien 1982, 93

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nein zum Krieg

    Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Stimmen wurden laut, die „Nein“ zum Krieg sagten. Dazu gehörten sowohl Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Friedensbewegung und Frauenbewegung als auch Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung. Sie wurden im Verlauf des Konfliktes immer „kriegsmüder“, was sich in Streikbewegungen und Hungerkrawallen ebenso äußerte wie im Phänomen der Massendesertionen von Frontsoldaten am Ende des Krieges.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Für den Frieden

    Abgebildet auf der 1000-Schilling-Note ist Bertha von Suttner, die bis heute wohl bekannteste Vertreterin der österreichischen Friedensbewegung. Während des Ersten Weltkriegs gab es viele Personen und Gruppierungen, die ihrem Beispiel folgten und gegen den Krieg und für den Frieden eintraten. Obwohl ihr Einfluss gering blieb, war ihr „Ja“ zum Frieden gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden und kontrollierenden Zensur ein besonders mutiges Engagement gegen den Krieg.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?