Der ‚Treuebruch‘ Italiens 1915

Für Ottokar Hanzel beginnt der Fronteinsatz

Am 23. Mai 1915 trat Italien trotz seines Bündnisses mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich auf Seiten der Entente gegen die Habsburgermonarchie in den Krieg ein. Dieser Schritt, auch als „Intervento“ bezeichnet, rief in der k. u. k. Monarchie eine Welle der Empörung und der Verbitterung hervor. Noch am selben Tag wurde ein Manifest Kaiser Franz Josephs veröffentlicht, das diese allgemeine Stimmung in folgenden Worten wiedergab: „Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt. Ein Treubruch dessengleichen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreich Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden.“


 

Fast wortgleich schilderte Ottokar Hanzel den Kriegseintritt Italiens in einem Brief an seine Gattin vom 24. Mai 1915: „Wie lange noch und Kanonendonner wird in den Bergwänden widerhallen. Italien hat einen Treuebruch sondergleichen begangen, es werde ihm die Strafe dafür.“

Für Ottokar Hanzel, der bis zum Mai 1915 in den Ersatzkompanien Franzensfeste und Riva eingezogen war, geriet der Krieg zu einem direkten Bedrohungsszenario, das Sorgen und Ängste um sein eigenes Wohlbefinden und jenes seiner Kameraden wachrief. Das Wissen um die nun sehr reelle Möglichkeit, verwundet oder gar getötet zu werden, veranlassten Ottokar Hanzel noch im Mai 1915 dazu, sein Testament aufzusetzen. Wie sehr ihn die alltäglichen Bedrohungen beschäftigten, zeigen auch die folgenden Zeilen, die er am 6. Juni 1915 an Mathilde Hanzel schrieb: „E. und ich sind übereingekommen, daß wenn einem von uns etwas zustoßen sollte, dessen Frau von dem anderen verständigt wird. Hier die Adresse der Frau E.s [...]. Hebe sie gut auf.“

Dieses Zitat ist eines der seltenen Beispiele, in denen Ottokar Hanzel seiner Frau gegenüber direkt die Möglichkeit ansprach, dass ihm etwas zustoßen könnte. Demgegenüber war der Großteil seiner Schilderungen über seinen Frontalltag überwiegend in einem verharmlosenden Ton gehalten. So hieß es beispielsweise am 12. November 1915: „Das Feuer der Italiener war nicht schlimm u. überdies erfolglos.“

Nur selten war in seinen Schreiben an Mathilde Hanzel von Gewalt, Gefechten oder gar dem Tod die Rede. Wie in anderen Feldpostbriefen, insbesondere von Offizieren, blieben die alltägliche Bedrohung und Zerstörung auch in Ottokar Hanzels Briefen ausgespart. Schrieb er über sein Handeln und Tun an der Front, schilderte er Besuche bei anderen Offizieren oder Vorgesetzten oder harmlose Freizeitaktivitäten, wie Schwimmen oder Lesen; seine dienstlichen Aufgaben und Aktivitäten blieben hingegen schemenhaft und gaben kaum Einblick in seine tatsächlichen Tätigkeiten.

Die Beschwörung von ‚Normalität‘, wie sie in Ottokar Hanzels Briefen lesbar ist, sollte vor allem die geliebten Personen schonen, an welche die Briefe gerichtet waren. Neben dieser Form der Selbstzensur wirkten auch die offiziellen Zensurbestimmungen als einschränkender Faktor in seinen Narrativen.

Bibliografie 

Hämmerle, Christa: „… wirf Ihnen alles hin und schau, dass Du fortkommst.“ Die Feldpost eines Paares in der Geschlechter(un)ordnung des Ersten Weltkriegs, in: Historische Anthropologie (1998), 6/3, 431-458

Rebhan-Glück, Ines: „Wenn wir nur glücklich wieder beisammen wären …“ Der Krieg, der Frieden und die Liebe am Beispiel der Feldpostkorrespondenz von Mathilde und Ottokar Hanzel (1917/18), Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2010

Sturm, Margit: Lebenszeichen und Liebesbeweise aus dem Ersten Weltkrieg. Zur Bedeutung von Feldpost und Briefschreiben am Beispiel der Korrespondenz eines jungen Paares. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 1992

 

Zitate:

„Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt ... “: Manifest Kaiser Franz Josephs vom 23. Mai 1915, siehe dazu: Extraausgabe der „Wiener Zeitung“, vom 24.5.1915, zitiert nach: Afflerbach, Holger: Der Dreibund. Europäische Großmacht- und Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, Wien 2002, 870

„Wie lange noch und Kanonendonner ...“: Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel, 24.05.1915, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

„E. und ich sind übereingekommen, daß wenn einem von uns etwas zustoßen sollte, ...“: Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel, 06.06.1915, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

„Das Feuer der Italiener war nicht schlimm ...“: Ottokar Hanzel an Mathilde Hanzel, 12.11.1915, Sammlung Frauennachlässe, Nachlass 1, Institut für Geschichte der Universität Wien

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „In Verbindung bleiben“

    Der Erste Weltkrieg trennte oft über mehrere Jahre hinweg tausende Familien voneinander. Umso wichtiger war es für jeden Einzelnen, den Kontakt zu den Lieben in der Ferne aufrecht zu erhalten. Viele bis dahin im Schreiben ungeübte Menschen griffen nun zu Bleistift oder Füllfeder und versuchten, schriftlich mit ihren abwesenden Familien, Freunden und Bekannten in Verbindung zu bleiben.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Mathilde Hanzel (geb. Hübner)

    Die in Wien wohnhafte Bürgerschullehrerin Mathilde Hanzel engagierte sich während des Ersten Weltkriegs im Umfeld des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins wiederholt für den Frieden.

  • Person

    Ottokar Hanzel

    Der im Zivilberuf als Gymnasiallehrer tätige Ottokar Hanzel aus Wien war während des Ersten Weltkriegs als Landsturm-Hauptmann an der Italienfront eingesetzt.

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.

  • Objekt

    Das „Ich“ im Krieg

    Lange Zeit wurde der Erste Weltkrieg nur aus dem Blickwinkel öffentlicher Persönlichkeiten oder Generäle erzählt. Wie die Bevölkerung der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg erlebte und überlebte, blieb hingegen im Dunkel der Geschichte verborgen. Gerade sogenannte „Ego-Dokumente“ - wie dieses Tagebuch - geben uns jedoch neue und vielfältige Einblicke in die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sinndeutungen der Menschen im Krieg.