Kam die deutschnationale Bewegung in den 1870er Jahren nur recht langsam voran, so gewann sie danach zunehmend an Bedeutung. Das zwischen der Habsburgermonarchie und dem Deutschen Reich 1879 geschlossene Bündnis (Zweibund) sowie die slawenfreundliche Politik des Ministerpräsidenten Graf Eduard Taaffe führten zu einem Erstarken des Deutschnationalismus.
Die Deutschnationalen konnten bei den Reichsratswahlen 1885 beachtliche Erfolge erzielen. Alle Versuche, jene Abgeordneten zu einen, die aufgrund deutschliberaler bzw. deutschnationaler Grundsätze gewählt wurden, scheiterten. Es kam zur endgültigen Spaltung der liberalen Verfassungspartei in einen Deutsch-österreichischen Klub der Altliberalen, welche die Gesamtstaatsidee der Habsburgermonarchie unterstützten, und in einen Deutschen Klub rund um Otto Steinwender.
Da eine Beteiligung Schönerers im Deutschen Klub aufgrund seiner antisemitischen Haltung unmöglich schien, gründete dieser im selben Jahr den Verband der Deutschnationalen. Bereits 1887 kam es aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Judenfrage und wirtschaftlicher Belange zur Spaltung des Deutschen Klubs und zur Gründung der Deutschnationalen Vereinigung. Aus dieser ging 1891 unter Beteiligung Otto Steinwenders die Deutsche Nationalpartei und 1896 die Deutsche Volkspartei hervor.
Der von Schönerer und Steinwender praktizierte politische Stil – Steinwenders aktive Teilnahme am Staat und Schönerers ablehnende Haltung gegenüber der Habsburgermonarchie – prägten die weitere Entwicklung des nationalen Lagers. Schönerers Politik, sein Antisemitismus und seine Abneigung gegenüber Österreich wurden zusehends radikaler. Trotz des 1879 zwischen der Donaumonarchie und dem Deutschen Reich geschlossenen Bündnisses – der sogenannte Zweibund –, verweigerte er die politische Mitarbeit an den Staatsgeschäften. Die Anhänger Steinwenders hingegen vertraten eine staatserhaltende Politik und unterstützten die österreichische Regierung bei der Erfüllung des Bündnisses. Die Schönerianer, die stets nur eine kleine Minderheit bildeten, setzten sich zwar für eine Stärkung des Bündnisses ein, behinderten jedoch mit ihrer Politik dessen Vollzug.
Den Deutschnationalen wurde ihre „Preußenseuchlerei“ und ihr „Schielen“ über die habsburgische Grenze hinaus oftmals zum Vorwurf gemacht. Der deutschböhmische Schriftsteller Josef Willomitzer entgegnete dem mit einem Gedicht: „Wir schielen nicht, wir schauen hinüber frank und frei, wir schauen frei und offen, wir schauen unverwandt, wir schauen froh hinüber ins deutsche Vaterland.“
1888 verabschiedete sich Schönerer für eine Weile aus dem politischen Leben. Er stürmte die Redaktion des Neuen Wiener Tagblattes, da sie den Tod Kaiser Wilhelms I. bereits einige Stunden vor seinem Ableben verkündet hatte. Schönerer wurde daraufhin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, er verlor seinen Adelstitel und musste den Reichsrat verlassen.
Die Struktur des nationalen Lagers blieb nach den Reichsratswahlen von 1891 unverändert. Die Liberalen Ernst Pleners, die seit 1888 unter der Bezeichnung Vereinigte Deutsche Linke auftraten, bildeten mit über 100 Abgeordneten (28 %) die stärkste Partei. Die aus der Deutschnationalen Vereinigung hervorgegangene Deutsche Nationalpartei unter Otto Steinwender und die Alldeutschen Schönerers vertraten das deutschnationale Segment.
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Zitate:
„Wir schielen nicht, wir schauen …“: Josef Willomitzer, zitiert nach: Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, in: Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte der Republik Österreich, Wien 1977, 380
„Preußenseuchlerei“: Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, in: Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte der Republik Österreich, Wien 1977, 379
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Kapitel
- Voraussetzungen und Anfänge politischer Partizipation
- Auf dem Weg zur politischen Mitbestimmung
- Liberalismus und Konservatismus
- Aufstieg und Niedergang des Liberalismus
- Arbeiter vereinigt euch!
- Partei der Massen
- Zwischen Burgfriedenspolitik und linkem Radikalismus
- Karl Lueger und die „Wurstkesselpartei“
- „Der Koloss von Wien“
- Aufstieg und Niedergang
- Bekenntnis zur Monarchie
- „Großdeutsch“, „kleindeutsch“ oder „deutschnational“?
- „Deutsch und treu, so ganz und echt“
- „Preußenseuchlerei“ oder Habsburgerliebe
- Das Ringen um den ‚nationalen Besitzstand’