Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den die Christlichsozialen als unumgänglichen „Sühnekrieg“ beurteilten, setzte man große Hoffnung in einen baldigen Sieg der Mittelmächte und die Sicherung des status quo.
Während auch die Christlichsozialen an ein baldiges und siegreiches Kriegsende glaubten, betrachteten sie die Beziehung Österreich-Ungarns zum deutschen Bündnispartner mit Vorbehalten. Stets darum bemüht, nicht in Konflikt mit der Bevölkerung zu geraten, schwenkten auch sie 1917 auf den Friedenskurs um. Während der gesamten Kriegszeit konzentrierte sich die Christlichsoziale Partei jedoch vornehmlich auf innenpolitische Fragen. Im Zentrum des parteipolitischen Interesses stand die Erhaltung der eigenen Wählerschaft, von der man befürchtete, sie könne ins sozialdemokratische Lager überlaufen. Die Partei versuchte daher die Lebenssituation sowie die Nahrungsversorgung ihrer Wähler durch Beeinflussung von Behörden und Regierung zu verbessern.
Aufgrund des aufstrebenden Nationalismus in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sahen sich auch die Christlichsozialen zu einer nationalen Politik gezwungen. Dies wurde jedoch innerhalb der eigenen Reihen als Schwächung des christlichsozialen Profils empfunden. Mit Konzepten zur zukünftigen Gestaltung des Staates verhielten sie sich eher zurückhaltend, was als Indiz für die innere Zerrissenheit der Partei interpretiert wurde. In ihrem 3-Punkte- Programm, das die wichtigsten außen- sowie innenpolitischen Auffassungen enthielt, bekannten sie sich zum Dualismus und zum Bündnis Österreich-Ungarns. Sie vertraten den ‚gemäßigten’ Friedenskurs des österreichisch-ungarischen Außenministers Ottokar Czernin, weshalb sie weder einen vorbehaltlosen Frieden forderten, noch für weitreichende Annexionen eintraten.
Nach dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches stürzte die Christlichsoziale Partei, die auf die Neugründung der Monarchie gehofft hatte, in eine ideologische und organisatorische Krise. Man konnte sich bei der Frage um die neue Staatsform auf keine einheitliche Parteilinie einigen. Noch im Oktober 1918 beschloss der christlichsoziale Klub, an der Monarchie festzuhalten. Auch die Parteiführer der Wiener Christlichsozialen sprachen sich für die traditionelle Staatsform bzw. eine Volksabstimmung über diese Frage aus. Unter den hauptsächlich aus dem agrarischen Milieu stammenden Abgeordneten der Länder bekannten sich hingegen immer mehr zur Republik. Die Gegensätze zwischen den Wiener Christlichsozialen und den Vertretern der Länder prägten die weitere Entwicklung der Partei: Auch nach der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 herrschte unter den Christlichsozialen noch immer keine Einigkeit über die Frage „Monarchie oder Republik“.
Berchtold, Klaus: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien 1967
Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005
Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, in: Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte der Republik Österreich, Wien 1977, 289-486
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Kapitel
- Voraussetzungen und Anfänge politischer Partizipation
- Auf dem Weg zur politischen Mitbestimmung
- Liberalismus und Konservatismus
- Aufstieg und Niedergang des Liberalismus
- Arbeiter vereinigt euch!
- Partei der Massen
- Zwischen Burgfriedenspolitik und linkem Radikalismus
- Karl Lueger und die „Wurstkesselpartei“
- „Der Koloss von Wien“
- Aufstieg und Niedergang
- Bekenntnis zur Monarchie
- „Großdeutsch“, „kleindeutsch“ oder „deutschnational“?
- „Deutsch und treu, so ganz und echt“
- „Preußenseuchlerei“ oder Habsburgerliebe
- Das Ringen um den ‚nationalen Besitzstand’