Im Zuge der Revolution von 1848 forderte die regimekritische liberale Opposition, allen voran die Intelligenz, die Studenten sowie das Besitz- und Bildungsbürgertum, das der Ausschließung von politischer Teilhabe überdrüssig war, die Ausarbeitung einer Verfassung. Diese sollte die Bildung eines Parlaments und das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Versammlungsfreiheit garantieren.
Die revolutionären Kräfte wandten sich gegen die ständische Ordnung und ihre Privilegien sowie gegen das restriktive System Metternichs, in dem Menschenrechtsverletzungen, Bespitzelungen und Zensur auf der Tagesordnung standen.
Bereits 1847 übte der österreichische Dramatiker Johann Nestroy an Metternich Kritik, als er bei der Eröffnung des Carltheaters im Dezember 1847 folgende Zeilen sang: „In der Schule, i dank’ / Die Händ auf die Bank, / Den Vortrag anhör’n, / Ohne schlafrig zu wer’n, / Das Buch aufgeschlag’n, /Zu schwätzen nicht wag’n / Wie ein eiserner Aff’, / Sonst kriegt man a Straf’! / Dieser schreckliche Druck / Halt’t im Wachsen uns z’ruck.“
Am 13. März 1848 kam es im Rahmen einer Versammlung der niederösterreichischen Stände im Landhaus in der Herrengasse und einer zur selben Zeit stattfindenden Demonstration von Bürgern und Studenten in der Wiener Innenstadt zum Ausbruch der Revolution. Der zeitgleiche Aufstand des Großstadtproletariats in den Wiener Vororten trug wesentlich zu ersten Erfolgen bei. Fürst Metternich trat noch am selben Tag zurück und floh nach England. Am 25. April wurde eine Verfassung erlassen und am 22. Juli 1848 eröffnete Erzherzog Johann den Reichstag, das Parlament der Habsburgermonarchie. Darin gruppierten sich erstmals politische Parteien. Der Partei des Zentrums, in der sich regierungstreue Konservative (Großgrundbesitzer, Adel, Staatsbeamte und zum Teil Bauern) versammelten, standen neben dem Klub der Linken (Liberalen) die verschiedenen Nationalitätenvertreter gegenüber.
Die Auflösung des Reichstages im März 1849 und die Aufhebung der Verfassung durch das Silvesterpatent 1851 bedeuteten jedoch das jähe Ende der errungenen politischen Mitbestimmung. Erst das im Jahr 1861 erlassene Februarpatent, das die Bildung eines Reichsrates vorsah, ermöglichte zumindest den ‚besitzenden und gebildeten Klassen’ (den adeligen Großgrundbesitzern, den Industriellen, den städtischen Bürgern und vermögenden Bauern) die Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess. Im Reichsrat formierten sich erneut politische Parteien, die jedoch über keine durchgehende Organisation verfügten, sondern eine lose Fusion von politisch Gleichgesinnten darstellten. Vorgesehen war ein Zweikammernsystem mit einem aus ernannten Mitgliedern bestehenden Herrenhaus und einem Abgeordnetenhaus, dessen Vertreter jedoch nicht direkt gewählt, sondern von den Landtagen entsandt wurden. Innerhalb der Landtagsabgeordneten muss zwischen gewählten Mandataren und Virilisten unterschieden werden. Universitätsrektoren sowie katholische und orthodoxe Bischöfe erhielten so genannte Virilstimmen und wurden automatisch zu Abgeordneten jener Landtage, in deren Tätigkeitsbereich sich die jeweilige Universität oder Diözese befand. Die Wahl zu den Landtagen erfolgte nach vier Wählerklassen (Kurien). Vertreten war die Kurie des Großgrundbesitzes, der Handels- und Gewerbekammern, der Städte und Märkte und die Kurie der Landgemeinden. Die Stimmen waren aufgrund des Kurienwahlrechts jedoch unterschiedlich gewichtet: In der Kurie der Landgemeinden wählten 8100 Wahlberechtigte einen Abgeordneten und in den Stadtgemeinden kamen auf einen Mandatar durchschnittlich 1600 Wählerstimmen. In den Handelskammern hingegen repräsentierte ein Abgeordneter durchschnittlich 24 und in der Kurie der Großgrundbesitzer 51 Wählerstimmen. Wahlberechtigt waren zudem nur jene Bevölkerungsgruppen, die einen gewissen Steuerbetrag leisteten, womit breite Teile des Volkes weiterhin von der politischen Partizipation ausgeschlossen blieben. Eine Ausnahme bildete die ‚Intelligenz’ – Geistliche, Staatsbeamte, Offiziere, Akademiker, Lehrer und Ehrenbürger – die aufgrund ihres Bildungsgrades bzw. ihrer beruflichen Position das Wahlrecht unabhängig von ihrer Steuerleistung besaßen.
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Zitate:
„In der Schule, i dank’ …“: Nestroy, Johann: Die schlimmen Buben in der Schule. Werke Nr. 5, 14, zitiert nach: Hanisch, Ernst: Österreichische Geschichte 1890-1990. Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 268
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Kapitel
- Voraussetzungen und Anfänge politischer Partizipation
- Auf dem Weg zur politischen Mitbestimmung
- Liberalismus und Konservatismus
- Aufstieg und Niedergang des Liberalismus
- Arbeiter vereinigt euch!
- Partei der Massen
- Zwischen Burgfriedenspolitik und linkem Radikalismus
- Karl Lueger und die „Wurstkesselpartei“
- „Der Koloss von Wien“
- Aufstieg und Niedergang
- Bekenntnis zur Monarchie
- „Großdeutsch“, „kleindeutsch“ oder „deutschnational“?
- „Deutsch und treu, so ganz und echt“
- „Preußenseuchlerei“ oder Habsburgerliebe
- Das Ringen um den ‚nationalen Besitzstand’