„Deutsch und treu, so ganz und echt“

Die deutschnationale Bewegung von ihren Anfängen bis zur Formulierung des Linzer Programms 1882

Die Niederlage Österreichs gegen Preußen in der Schlacht von Königgrätz 1866 und das darauf folgende Ausscheiden der Habsburgermonarchie aus dem Deutschen Bund führten innerhalb des deutschnationalen Lagers zu einer wesentlichen Umstrukturierung.


 

Während die einen den Habsburgerstaat ablehnten und die Einigung aller Deutschen in einem deutschen Nationalstaat anstrebten, arrangierten sich die anderen mit der Monarchie und rückten den Schutz des Deutschtums vor dem erstarkenden slawischen Einfluss ins Zentrum ihrer Politik.

Bis in die 1870er Jahre fehlte es der deutschnationalen Bewegung an politischer Schlagkraft. Auf parlamentarischer Ebene konnte sie ihre Ideen zunächst nur innerhalb der liberalen Verfassungspartei entfalten. Diese spaltete sich 1871 in den Klub der Liberalen und den deutschnational ausgerichteten Fortschrittsklub, dem auch der spätere Führer der Deutschnationalen, Georg Ritter von Schönerer, angehörte. Schönerer vermochte mit demagogischem Geschick die deutschnationalen Ideen zu verbreiten, konnte jedoch aufgrund seines radikalen politischen Stils keine allzu große Bedeutung erlangen. Dennoch konzentrierten sich in der Gedankenwelt der Schönerianer all jene deutschnationalen Tendenzen, die in veränderter oder abgeschwächter Form auch bei den anderen nationalen Gruppierungen zu erkennen waren.

Schönerer, ein Verfechter der kleindeutschen Idee, trat mit Vehemenz gegen den Habsburgerstaat auf und plädierte für den Anschluss der deutschsprachigen Gebiete Österreichs an das Deutsche Reich. Er vertrat einen radikalen Deutschnationalismus, schimpfte gegen die Kapitalisten, das Judentum und gegen die katholische Kirche. Seine „Los-von-Rom-Bewegung“ empfahl die Abwendung vom Katholizismus hin zum deutschfreundlicheren Protestantismus. Aurelius Polzer, ein Anhänger Schönerers, beschrieb die völkische Ideologie folgendermaßen: „Deutsch und treu, so ganz und echt, / Nicht verjudet, nicht vertschecht, / Nicht verpfafft und nicht verwelscht, / Kurz und gut, ganz unverfälscht.“

Schönerer verstand es, die von ihm postulierten reaktionären Losungen mit demokratischen bzw. progressiven Ideen zu verbinden. Er schied Ende der 1870er Jahre aus der Liberalen Partei aus und bildete mit Heinrich Fürnkranz, Bürgermeister von Langenlois in Niederösterreich, eine eigene Zwei-Mann-Partei. 1882 wurde der Deutschnationale Verein gegründet, dem neben Schönerer auch die späteren Sozialdemokraten Engelbert Pernerstorfer und Victor Adler, der spätere Christlichsoziale Robert Pattai, der Historiker und Journalist Heinrich Friedjung und der deutschnationale Politiker Otto Steinwender angehörten.

Im sogenannten Linzer Programm von 1882 wurden die wichtigsten Grundsätze des Deutschnationalen Vereins festgehalten. Es umfasste nationale Postulate, wie den Wunsch nach enger Bindung an das Deutsche Reich und nach Errichtung eines gemeinsamen Zollgebietes. Daneben enthielt es eine Reihe von sozialen bzw. demokratischen Forderungen: die Erweiterung des Wahlrechts, Vereins- und Pressefreiheit, eine progressive Einkommenssteuer, Normalarbeitszeiten sowie eine Eindämmung der Kinder- und Frauenarbeit. Da das Linzer Programm unter jüdischer Beteiligung entstanden war, enthielt es, trotz Schönerers offenem Bekenntnis zum Antisemitismus, keine Judenklausel. Spätestens 1885, als er den Katalog um die Forderung nach der „Beseitigung des jüdischen Einfluss[es] aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens“ ergänzte, wandten sich Adler, Friedjung und Pernerstorfer von ihm ab. Da im Abgeordnetenhaus nur Schönerer und Fürnkranz das Programm befürworteten, hatte es keine unmittelbaren Konsequenzen auf parlamentarischer Ebene. Es wurde jedoch zum wichtigsten programmatischen Manifest der deutschnationalen Bewegung.

Bibliografie 

Buchmann, Bertrand Michael: Kaisertum und Doppelmonarchie, Wien 2003

Berchtold, Klaus: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien 1967

Fuchs, Albert: Geistige Strömungen in Österreich 1867-1918, Wien 1984

Kriechbaumer, Robert: Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945, Wien/Köln/Weimar 2001

Rumpler, Helmut: Österreichische Geschichte 1804-1914. Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997

Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, in: Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte der Republik Österreich, Wien 1977, 289-486

 

Zitate:

„Deutsch und treu …“: Aurelius Polzer, zitiert nach: Rumpler, Helmut: Österreichische Geschichte 1804-1914. Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, 489

„Beseitigung des jüdischen Einfluss[es] …“: Fuchs, Albert: Geistige Strömungen in Österreich 1867-1918, Wien 1984, 182

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Ereignis

    Österreich im Krieg gegen Preußen und Italien

    Die Niederlage von Königgrätz bedeutet einen herben Rückschlag für das Reich der Habsburger. Das Ergebnis: Österreich verliert Venetien an Italien und die Führungsrolle innerhalb der deutschen Staaten an Preußen.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.

  • Entwicklung

    Antisemitismus

    Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Antisemitismus zur politischen Bewegung, die den Judenhass zum ideologischen Programm und zur Richtschnur für politische Aktionen erhob. Dahinter verbarg sich eine Ideologie, die Juden und Jüdinnen als „die Anderen“ stigmatisierte und als eine die Gesellschaft bedrohende Gefahr inszenierte. Während des Ersten Weltkrieges führte der „innere Burgfrieden“ zunächst zu einem Abflauen der antisemitischen Hetze, doch der ungünstige Kriegsverlauf förderte die antisemitische Ausschlusspolitik.