Zwischen Burgfriedenspolitik und linkem Radikalismus

Die österreichische Sozialdemokratie während des Ersten Weltkriegs

Der Kriegsausbruch im Juli 1914 brachte die österreichische Arbeiterschaft in eine zwiespältige Position. Sie bekannte sich grundsätzlich und in Anlehnung an einen internationalen Sozialismus zum Frieden, avancierte jedoch gleichzeitig zu einer staatstragenden Partei.


 

Mit der im Mai 1915 auf der Reichskonferenz der deutschen Sozialdemokratie verabschiedeten Resolution wurde die den Krieg bejahende Haltung offenkundig. Hier hieß es: „Diese Krise hat alle Völker Österreich-Ungarns in den Zustand der Notwehr versetzt […] den weststaatlichen Wirtschafts-, Rechts- und Kulturboden gegen die Eroberungssucht des Zarismus zu verteidigen. Die Notwendigkeit gemeinsamer Abwehr drängt für den Augenblick die politische Friedensarbeit zurück.“

Oberstes Ziel der Sozialdemokraten während des Krieges war es, die Parteiorganisation aufrechtzuerhalten, was jedoch angesichts der zwischen 1914 und 1917 stark zurückgehenden Mitgliederzahlen nicht wirklich gelang. Daneben forderte man, den durch Ministerpräsident Stürgkh 1914 ausgeschalteten Reichsrat wieder zu beleben und die Demokratie in ihren Grundfesten wiederherzustellen.

In den ersten beiden Kriegsjahren verfolgte die Mehrheit der Sozialdemokraten eine „Politik des Burgfriedens“ und unterstützte das Vorgehen der Regierung. Damit entwickelten sie sich zur staatserhaltenden Partei und verfolgten – trotz ihres in der Vorkriegszeit formulierten Bekenntnisses zum Pazifismus – keine Friedenspolitik. Bereits zu Kriegsbeginn lebten die parteiinternen Auseinandersetzungen um die alte Frage nach der Beteiligung der Arbeiterschaft an den Regierungsgeschäften (rechter, gemäßigter Flügel unter Karl Renner, Victor Adler, Engelbert Pernerstorfer) oder Verneinung des Staates, der Habsburgermonarchie und des Krieges (linker, radikaler Flügel unter Robert Danneberg, Otto Bauer, Julius Deutsch und Friedrich Adler) wieder auf.

Die letztere Fraktion hatte in Friedrich Adler, dem Sohn Victor Adlers, eine Führerfigur gefunden, bildete vorerst jedoch noch eine kleine Minderheit. Sie kritisierte die „Burgfriedenspolitik“ der Parteispitze, die auf Auseinandersetzungen mit der Regierung verzichtete, und machte sich für den Frieden stark. Das von Friedrich Adler im Oktober 1916 an Ministerpräsident Karl Stürgkh verübte tödliche Attentat schürte die linken Kräfte, die in Adler den Wortführer ihrer Friedenssehnsucht erblickten.

Je länger der Krieg dauerte und je mehr die Hoffnung auf den Sieg verblasste, desto mehr konnten sich die Linken innerhalb der Sozialdemokratie durchsetzen. Nach dem Adler’schen Attentat und dem Ausbruch der russischen Revolution im März 1917 strömten immer mehr Parteianhänger in das linke Lager. Die Parteiführung erklärte sich schließlich zur Reintegration des nun unter Otto Bauer agierenden linken Flügels bereit und änderte ihren Kurs. Die Einheit der Sozialdemokratie konnte somit ein weiteres Mal bewahrt werden. Obwohl sie sich nun für einen Frieden ohne Gebietsannexionen aussprach, betrieb sie keine hartnäckige Friedenspolitik und verharrte in ihrer opportunistischen Haltung. Der Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung Friedrich Austerlitz formulierte dazu treffsicher: „Die Anschauungen der Linken sind herrschend geworden und als Taktik wird allgemein die der Rechten als richtig empfunden.“

Bibliografie 

Buchmann, Bertrand Michael: Kaisertum und Doppelmonarchie, Wien 2003

Berchtold, Klaus: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien 1967

Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005

Hautmann, Hans/Kropf, Rudolf: Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik, Linz 1974

Ardelt, Rudolf G.: Sozialdemokratie und bürgerliche Öffentlichkeit. Überlegungen zum Hainfelder Parteitag, in: Ackerl, Isabella/Hummelberger, Walter/Mommsen, Hans (Hrsg.): Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich. Festschrift für Rudolf Neck zum 60. Geburtstag. Bd. I, Wien 1981, 214-238

Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, in: Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte der Republik Österreich, Wien 1977, 289-486

 

Zitate:

„Diese Krise hat alle Völker …“: Resolution, zitiert nach: Berchtold, Klaus: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien 1967, 29

„Die Anschauungen der Linken …“: Austerlitz, Friedrich, zitiert nach: Ehrenpreis, Petronilla: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, 284

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