„Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
Trotz der Forderung nach Rückkehr zu ernster Kunst konnte auch der Erste Weltkrieg die Popularität der „leichten Musik“ kaum bremsen. Sowohl im Hinterland als auch an der Front erfreuten sich Werke mit unterhaltendem Charakter großer Beliebtheit. Auch dieses Genre nahm patriotische Inhalte auf und folgte dem Trend der Zeit.
Die Premiere von Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin, in deren Handlung und Musik am Vorabend des Weltkriegs Walzerseligkeit auf feuriges Csárdásblut trifft, erlebte 1915 im Johann-Strauß-Theater in Wien eine fulminante Uraufführung, der noch in Kriegszeiten mehr als 500 Aufführungen folgten. Kálmán hatte schon 1914 mit dem Singspiel Gold gab ich für Eisen einen ersten patriotischen Beitrag zum Kriegsgeschehen geliefert. 1916 feierte Die Rose von Stambul von Leo Fall im Theater an der Wien ihre Premiere; im selben Jahr wurden von ihm Kompositionen mit dem Titel Heitere Deutsche und Österreichische Soldatenlieder publiziert. Auch Franz Lehár, dessen Bruder Anton in der österreichisch-ungarischen Armee Karriere machte, stellte sich mit patriotisch motivierten Konjunkturwerken der Kriegspropaganda zur Verfügung. 1927 setzte er mit dem Wolgalied aus seiner Operette Der Zarewitsch dem von Verzicht und Vaterlandsgehorsam geprägten Soldatenschicksal quasi posthum ein popularmusikalisches Denkmal.
Zusammen mit Fall, Lehár und Kálmán gilt Oscar Straus als einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Silbernen Operettenära (ab der Jahrhundertwende bis etwa 1920). Im Gegensatz zu seinen Zunftgenossen unterließ er es jedoch, das Kriegsgeschehen mit dem Komponieren von militaristischen Klängen zu unterstützen. Robert Stolz, von 1905 bis 1917 musikalischer Leiter am Theater an der Wien, leistete von 1914 bis 1918 Kriegsdienst, unter anderem als Kapellmeister beim k. u. k. Infanterie-Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4, für das August Jurek eine eigene Kriegsausgabe seines Deutschmeister-Regimentsmarsches „Wir san vom ka und ka Infanterieregiment, Hoch- und Deutschmeister Nummero vier“ schuf. Wenig bekannt ist, dass Robert Stolz während des Krieges seine Allzeithits Wien wird bei Nacht erst schön, Im Prater blüh’n wieder die Bäume sowie Das ist der Frühling in Wien komponierte.
Rudolf Sieczyński wurde während des Ersten Weltkriegs mit einigen seiner Wienerlied-Kompositionen berühmt, darunter mit dem schon 1912 komponierten, aber erst 1914 publizierten Erstlingswerk Wien, du Stadt meiner Träume. Sieczyński selbst resümierte, dass sein Lied, das er mit einem eigenen Kriegstext versah, „gerade im Krieg (...) bei den Soldaten im Felde, die sehnsuchtsvoll der Heimat gedachten, populär“ wurde:
„Wenn uns auch bedroht, der Krieg und die Not,
so fügen mit Gott wir uns drein.
Wir stehen vereint, mit dem deutschen Freund,
denn fest steht und treu, die Wacht am Rhein.
Ob alt oder jung, s’ kommt alles in Schwung
fürn Kaiser ins Schlachtfeld zu gehn.
Wir geb’n unser Gut, wir geb’n unser Blut,
denn Öst’rreich wird ewig besteh’n.
Drum Kinder zieht froh in den Krieg,
ihr kehrt bestimmt als Sieger zurück!
Wien, Wien nur du allein, soll stets die Stadt eurer Träume sein.
Dort, wo hoch Habsburgs Fahnen weh’n,
dort, wo die strammen Krieger steh’n.
Wien, Wien nur du allein, soll stets die Stadt eurer Träume sein.
Zieht gleich zum greisen Kaiser hin,
nach Wien, nach Wien, zu Ihm.“
Wie hier zu erkennen ist, nahm Wien als Projektionsfläche für zeitgeistige Befindlichkeiten eine besondere Rolle ein. Im Wienerlied wurde die heimatliche Idylle beschworen, mit Kriegsverlauf freilich in einer zunehmend wehmütig anmutenden Form: „I zünd mir lieber mei gut’s Pfeiferl an“, resümiert hier ein alter Mann in sentimentaler Erinnerung, „Schön war’s, o, du liebe Zeit“. Am Ende des von Turl Wiener 1915 getexteten Lieds wird der Schuldige für den Untergang der heilen Welt festgemacht: „Gott strafe England. Er strafe es!“
Mit Fortdauer des Krieges reduzierte sich die Anzahl der veröffentlichten Wienerlieder beträchtlich, dies auch, weil viele Musiker im Fronteinsatz waren. Hier fanden sie ihre Rolle als Unterhalter bei den kämpfenden Soldaten, in Lazaretten, Spitälern und Gefangenenlagern.
Glanz, Christian: Konjunkturritter der „großen Zeit“. Streiflichter zur Selbstmobilisierung der „leichten Muse“ in Wien., in: Bungart, Julia et al. (Hrsg.): Wiener Musikgeschichte. Annäherungen – Analysen – Ausblicke. Festschrift für Hartmut Krones, Wien 2009, 353-364
Mochar, Iris: Zum Wienerlied im Ersten Weltkrieg, in: bockkeller – Die Zeitung des Wiener Volksliedwerks, Ausgabe 1/2014, 5-8
Pfoser, Alfred: „Hoch der Rock, die Waffen nieder!“ Im Wien des Ersten Weltkriegs ging das Leben weiter. Und das Nachtleben konnte sich erst entfalten, in: Der Falter 01-02/2014, unter: http://www.falter.at/falter/2014/01/07/hoch-der-rock-die-waffen-nieder/ (20.06.2014)
Tonaufnahme „Wien, Du Stadt meiner Träume" (Kriegsversion; Albert Schäfer 1915). Unter: http://www.v2movie.de/vid/albert-schaeffer-tenor-wien-du-stadt-meiner-traeume-kriegstext-1915/aHR0cDovL3d3dy55b3V0dWJlLmNvbS93YXRjaD92PWNNcTVYWEZmMlh3/ (20.06.2014)
Tonaufnahme „Wolgalied“ (Richard Tauber). Unter: http://www.richard-tauber.de/2011/07/o-8306/ (20.06.2014)
Tonaufnahme „Im Prater blüh’n wieder die Bäume“ und „Wien, Du Stadt meiner Träume“ (Richard Tauber). Unter: http://www.richard-tauber.de/2011/07/o-8341/ (20.06.2014)
Zitate:
„gerade im Krieg ...": zitiert nach: Weber, Ernst: Schne Liada, in: Fritz, Elisabeth Th., Kretschmer, Helmut (Hrsg.): Wien Musikgeschichte. Teil 1: Volksmusik und Wienerlied, Wien 2006, 314, zit.iert nach Mochar, Iris: Zum Wienerlied im Ersten Weltkrieg, in: bockkeller – Die Zeitung des Wiener Volksliedwerks, Ausgabe 1/2014, 5-8, hier: 7
„I zünd’ mir lieber mei gut’s Pfeiferl an ...": Original-Couplet. Text: Turl Wiener und Franz Aicher. Musik: R.V. Werau, Op. 420. Wien 1915
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Kapitel
- „Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten
- Patriotische Aufladung im Konzert der Völker
- „Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
- Ernste Zeit – ernste Kunst!
- „Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
- „Das deutsche Musikleben und seine Entlausung“ – Gebrauchsmusik für den Krieg
- „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
- „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
- Militarismus und Schrecken in Musik gesetzt
- „La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
- Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
- Komponistenschicksale: Krieg, Tod, Sehnsucht nach Frieden und Verarbeitung
- Komponistenstars und der „Große Krieg“