„Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten

Im Sommer 1914 wurde eine vorläufige Einstellung des Spielbetriebs am Wiener Burgtheater und an der Hofoper verfügt, bei letzterer mit dem Argument, dass die Musik bei Waffenlärm schweigen solle. Der Hofoperndirektor Hans Gregor versuchte gegen die Schließung seines Hauses zu intervenieren und meinte, dass das Volk gerade in diesen schwierigen Zeiten Ablenkung brauche. Die Wiedereröffnung der beiden Häuser am Ring fand bereits Mitte Oktober 1914 statt, in der Oper zum Saisonauftakt traditionell mit Richard Wagners Lohengrin

Beide Bühnen mussten jedoch kriegsbedingte Konzessionen machen, unter anderem mit mehr Schließtagen als vor Kriegsbeginn und mit deutlich reduzierten Kartenpreisen. Die Neue Freie Presse berichtete von regem Interesse in beiden Häusern, es kam „zu einem derartigen Ansturme auf die Kassen, daß die Sicherheitswache einschreiten mußte“. Deutsche Bühnen beklagten zur selben Zeit ein mangelndes Publikumsinteresse: „Es geht den Theatern nicht gut. Auf vielen Bühnen wird gespielt, aber vor dürftig besetzten Bänken und vor leeren Logen.“

Der Krieg führte zu einem eingeschränkten Spielbetrieb. Für die Spielsaison 1914/15 gab Gregor an: „Es sind eingerückt: Die Solosänger Franz Markhoff, Viktor Madin, Julius Betetto, Michael Nasta, Artur Preuss (die drei letzteren wurden später wieder rückbeurlaubt). Ferner 38 Orchestermitglieder, 14 Chorsänger, 15 Balletttänzer, 7 Bühnenmusiker, 59 Bühnenarbeiter, 16 Schneider bzw. Ankleider, etc., etc.“ Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, wurden gegen Ende des Krieges für diverse Arbeiten Kriegsgefangene mit Deutschkenntnissen angefordert – eine Praxis, die an den Bühnen in Deutschland schon länger üblich war, jedoch zuvor in Wien strikt abgelehnt worden war.

Neben dem fehlenden Personal litten die Bühnen auch unter akutem Materialmangel, was sich naturgemäß in der Ausstattung der Produktionen niederschlug. Die durch die Inflation angetriebenen Teuerungen machten es mit Kriegsverlauf immer schwieriger, den Betrieb aufrechtzuerhalten. All dies wirkte sich auf die Auswahl des Repertoires aus. Eine Empfehlung des Deutschen Bühnenvereins Berlin, Mozarts Don Giovanni nur mehr in einer bestimmten Fassung aufzuführen, sollte sicherstellen, dass die noch zur Verfügung stehenden Gastsänger bei Bedarf leichter einspringen konnten. Eine Neubearbeitung des Librettos der Zauberflöte durch den Salzburger Schriftsteller Leo Maasfeld sollte Spareffekte bringen: „Durch besondere Einteilung der Verwandlungen – während der offenen Szene – ist es mir gelungen, die Oper in nur 4 Akten, das heißt Vorhangschlüssen zu zwingen, so dass die herrliche Oper musikalisch eine Einheit darstellt.“

Der Krieg hatte auf den Opern- und Theaterbetrieb auch andere Auswirkungen: So mussten die Spielzeiten am Abend vorverlegt werden, um den Heimtransport der Gäste gewährleisten zu können. Pferdewagen standen teilweise wegen Futtermangels nicht zur Verfügung. Ende 1915 war durch die Aufnahme des Betriebs der Städtischen Straßenbahnen auch wieder eine spätere Heimfahrt möglich – jedoch nur bis Anfang 1917, da aufgrund des Kohlemangels die letzten Straßenbahnen bereits um 20h30 vom Ring abfuhren. Und schließlich entschieden sich auch die Wiener Philharmoniker zu Sparmaßnahmen, indem sie den Frack durch den weniger noblen, aber in der Produktion günstigeren Salonrock ersetzten – was allerdings auch als äußeres Zeichen für die Abkehr des Orchesters vom Feudalen interpretiert wird.

Die Hofoper stellte keine Ausnahme dar, auch andere Bühnen mussten kriegsbedingt auf Teile des Ensembles und der MitarbeiterInnen verzichten und die Eintrittskarten zu stark ermäßigten Preisen anbieten. Gegen Kriegsende, als die allgemeine ökonomische Situation immer prekärer wurde, wurden Konzerthäuser phasenweise geschlossen, was den Musikschriftsteller Ludwig Karpath nach acht Tagen ohne Konzert in Wien dazu veranlasste, gar „eine Störung seines seelischen Gleichgewichts“ zu diagnostizieren.

Bibliografie 

Peitzmeier, Jens: Das musikalische Kunstwerk als Patriot und Feind. Instrumentalisierung der Musik im Ersten Weltkrieg. Masterarbeit Osnabrück 2012

Regler, Liselotte: Hans Gregor – Die Ära des letzten Hofoperndirektors in Wien. Dissertation Wien 2010, unter: http://othes.univie.ac.at/10107/1/2010-05-10_9008228.pdf (20.06.2014)

Trümpi, Fritz: Politisierte Orchester, Wien 2011

 

Zitate:

„zu einem derartigen Ansturme ...": Neue Freie Presse vom 19.10.1914, 8

„Es geht den Theatern nicht gut ...": Der Merker Nr. 116 (5. Jg.) vom 02.10.1914, 536, zitiert nach Peitzmeier, Jens: Das musikalische Kunstwerk als Patriot und Feind. Instrumentalisierung der Musik im Ersten Weltkrieg. Masterarbeit Osnabrück 2012

„Es sind eingerückt ...": Dokumente Staatsarchiv, Karton Oper 305/15, Zl: 555, zitiert nach: Regler, Liselotte: Hans Gregor – Die Ära des letzten Hofoperndirektors in Wien. Dissertation Wien 2010, unter: http://othes.univie.ac.at/10107/1/2010-05-10_9008228.pdf (20.06.2014), 137f.

„Durch besondere Einteilung der Verwandlungen ...": Dokumente Staatsarchiv, Karton Oper 321/16, Zl: 906, zitiert nach: Regler, Liselotte: Hans Gregor – Die Ära des letzten Hofoperndirektors in Wien. Dissertation Wien 2010, unter: http://othes.univie.ac.at/10107/1/2010-05-10_9008228.pdf (20.06.2014), 158

„eine Störung seines seelischen Gleichgewichts“: Karpath, Ludwig: „Konzertnot", in: Neues Wiener Tagblatt vom 20.2.1917, 13, zitiert nach: Nussbaumer, Martina: „Jetzt ist die Stunde da, in der nur das Höchste laut werden darf.“ Zur Aufrüstung des klassischen Musiklebens, in: Pfoser, Alfred, Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien 2013, 374-385, hier: 384

 

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