Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg bedeutete aus musikhistorischer Sicht keinen markanten Wendepunkt. Dieser fand einige Jahre zuvor mit der atonalen Musik statt und bedeutete für manche Zeitgenossen eine „Urkatastrophe“ der anderen Art. Der Krieg markierte eher einen Einbruch, da die großen Meisterwerke in diesen Jahren weitgehend ausblieben. Auch das Musikleben wurde innerhalb kürzester Zeit auf Kriegsdienst umgestellt, die Produktivität war insbesondere zu Kriegsbeginn, als es für die Musikschaffenden galt, ihren Beitrag zur Mobilisierung zu leisten, beträchtlich. Wenn es Neuerungen gab, so kamen diese in erster Linie durch technische Entwicklungen und die Folgeerscheinungen des Krieges zustande.
Der von Thomas Edison 1877 vorgestellte Phonograph machte erstmals die Aufnahme und Wiedergabe von Schall möglich. So konnte das Phonogrammarchiv der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften auf Anregung des Kriegsministeriums Aufnahmen von Soldatenliedern in allen Sprachen der Monarchie sammeln, die dann auch der Musikhistorischen Zentrale zur Verfügung gestellt wurden. In Deutschland wurde 1915 die Phonographische Kommission gegründet, die in geheimer Mission in den deutschen Internierungslagern Sprach- und Musikaufnahmen von den Gefangenen durchführte und damit mehr als 1.600 grammophonische Studien in etwa 250 Sprachen anfertigen konnte. Das daraus entstehende Lautarchiv wurde während des Zweiten Weltkriegs durch weitere Aufnahmen von Kriegsgefangenen (in Frankreich vor allem von afrikanischen Gefangenen) ergänzt.
Schallplatten konnten im Ersten Weltkrieg zur Verbreitung von Propagandabotschaften und Musik über die traditionellen Liveaufführungen hinaus eingesetzt werden. Die Plattenproduktion brach allerdings mit Kriegsbeginn ein und erholte sich nach 1918 nur langsam.
1902 entwickelte Ludwig Hupfeld in Leipzig die Phonola, ein Abspielgerät für Notenrollen, das sich als „selbstspielendes Klavier“ in der „feinen Gesellschaft“ großer Beliebtheit erfreute. Für die Phonola wurde Hupfelds Original Tongemälde Weltkrieg 1914 und dann 1915 ein Nachtrag zu dieser Sammlung produziert. Sie enthielt auch heute noch bekannte Titel wie den Deutschmeister Regiments-Marsch, Wien du Stadt meiner Träume oder Mei Muatterl war a Wienerin. Mit dem Kriegseintritt der USA wurden auch amerikanische Tanzschlager auf Notenrollen verbreitet, am populärsten war hier der Foxtrott Over There. Die „selbstspielenden Klaviere“ wurden auch auf Kriegsschiffen, wie etwa auf dem Deutschen Panzerkreuzer S.M.S. Yorck und dem österreichisch-ungarischen Kriegsschiff Arpad, zur Unterhaltung eingesetzt.
Da die bis zur Kriegszeit verwendeten Darmsaiten nicht mehr ausreichend geliefert werden konnten, mussten auf Streichinstrumente Stahlsaiten aufgezogen werden; sie veränderten den Klang von Musikstücken nachhaltig.
Der Krieg machte auch Musiker zu Invaliden. Nur wenige, darunter der Bruder des Philosophen Ludwig Wittgenstein, Paul, der als Leutnant in Russland seinen rechten Arm verloren hatte, konnten danach ihre Karriere fortsetzen. Für Wittgenstein komponierte das damalige „Who is Who“ der Musikszene Klavierkonzerte für die linke Hand, darunter Maurice Ravel, Richard Strauss, Sergej Prokofjew, Franz Schmidt oder Benjamin Britten. Der tschechische Komponist Leoš Janácek schuf sein Capriccio für einhändiges Klavier, Flöte, zwei Trompeten, drei Posaunen und Tenortuba für den Pianisten Otakar Hollmann, der ein ähnliches Schicksal wie Wittgenstein erlitten hatte.
Lautarchiv am Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Unter: http://www.sammlungen.hu-berlin.de/sammlungen/78/ (20.06.2014)
Soldatenlieder der k .u. k. Armee. CD mit Kommentaren von Oskar Elschek. [Tondokumente aus dem Phonogrammarchiv], 2012. Unter: http://verlag.oeaw.ac.at/index.phtml?act=ps&aref=1947 (20.06.2014)
Sommer, Isabella: Die Phonola – ein gesellschaftlich und musikhistorisch relevantes Medium zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Wien 2013. Unter: http://www.phonolamusic.at/index.php?id=28 (20.06.2014)
Suchy, Irene et al. (Hrsg.): Empty sleeve: Der Musiker und Mäzen Paul Wittgenstein, Innsbruck 2006
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Kapitel
- „Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten
- Patriotische Aufladung im Konzert der Völker
- „Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
- Ernste Zeit – ernste Kunst!
- „Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
- „Das deutsche Musikleben und seine Entlausung“ – Gebrauchsmusik für den Krieg
- „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
- „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
- Militarismus und Schrecken in Musik gesetzt
- „La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
- Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
- Komponistenschicksale: Krieg, Tod, Sehnsucht nach Frieden und Verarbeitung
- Komponistenstars und der „Große Krieg“