„Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
In einem Briefwechsel zwischen dem Komponisten Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal (bzw. dessen Frau Gerty) äußerten sich die beiden über den Ersten Weltkrieg teils in ironisch-sarkastischer, teils in patriotischer Form. Im Vordergrund stand jedoch bei Strauss meist weniger die Kommentierung des Zeitgeschehens als dessen Auswirkung auf seine persönlichen Befindlichkeiten.
Am Tag vor dem offiziellen Kriegsbeginn erkundigte sich Richard Strauss von seinem Wohnsitz in Garmisch aus besorgt über den Verbleib von Hugo von Hofmannsthal. „Dichter“, so meinte Strauss, „könnte man wirklich zu Hause lassen wo sonst so reichlich Kanonenfutter vorhanden ist: Kritiker, Regisseure mit eigenen Ideen, Molièrespieler etc.“. Strauss arbeitete gerade am dritten Akt seiner Oper Die Frau ohne Schatten, die er 1917 beendete, die jedoch erst nach dem Krieg zur Uraufführung gelangte, weil sie als Stoff in Kriegszeiten ungeeignet schien. Die unwillkommene Störung seiner Arbeit kommentierte Strauss mit dem Wunsch: „Die verdammten Serben soll der Teufel holen!“ Deutlich besser gelaunt zeigte er sich einige Wochen später angesichts des „großen Sieges“ der heimischen Armee bei Metz am 20. August und der Fertigstellung seines dritten Aktes: „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe, der ihm, hoffe ich, noch mehr Ehre einbringen wird, als eine schöne Todesanzeige in der ‚Neuen Freien Presse’.“ Gleichzeitig hoffte er, dass „dies Land und Volk“ – er subsumierte hier Deutschland und Österreich – „erst am Anfang einer großen Entwicklung steht und die Hegemonie über Europa unbedingt bekommen muß und wird“.
Während des Krieges schwankte Strauss zwischen Siegeshoffnungen und Befürchtungen über das „sterbende Österreich“. Den Krieg an sich verurteilte er zunehmend, nicht zuletzt aufgrund der materiellen Einschränkungen für den Kunstbetrieb: „[D]er Kaiser reduziert die Gagen am Hoftheater, die Herzogin von Meiningen setzt ihr Orchester auf die Straße, Reinhardt spielt Shakespeare, das Theater in Frankfurt spielt ‚Carmen’, ‚Mignon’, ‚Hoffmanns Erzählungen’ – wer wird aus diesem deutschen Volk klug, dieser Mischung von Talentlosigkeit und Genie, Heroismus und Bedienthaftigkeit.“ Gegen Kriegsende appellierte Strauss an die menschliche Vernunft. Der Musik – wohl auch seiner – schrieb er hier durch ihren völkerverbindenden Charakter eine besonders förderliche Rolle zu.
Letztlich zählte Richard Strauss zu den Profiteuren des Krieges, denn durch die weitgehende Einschränkung des Musikbetriebs auf die Aufführung einheimischer Musikschaffender wurden auch seine Werke bevorzugt in die Programme der deutschen und österreichischen Bühnen aufgenommen. 1915 dirigierte er in Dresden die Uraufführung der Alpensinfonie und im Oktober 1916 eine revidierte Fassung der Oper Ariadne auf Naxos an der Wiener Hofoper. Überaus positiv berichtete Julius Korngold in einem ausgedehnten Kommentar von der glanzvollen Premiere in Wien: „Man hat zu loben und wieder zu loben; das Hofoperntheater hat sich auf der Höhe gezeigt. Und auch das Publikum blieb auf der Höhe des Werkes. Es hat diese eigenartige Opernmusik in ihrer süßen Reife verständnisvoll genossen, ihren Schöpfer stürmisch gefeiert.“
Auch Der Rosenkavalier hatte auf den deutschsprachigen Bühnen Hochsaison, allein in Dresden erlebte er seit der Uraufführung 1911 bis zum Ende des Krieges 100 Aufführungen.
Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum (Hrsg.): Österreichs Antwort. Hugo von Hofmannsthal im Ersten Weltkrieg, Frankfurt 2014. Unter: http://www.goethehaus-frankfurt.de/ausstellungen_veranstaltungen/ausstellungen/wechselausstellung/osterreichs-antwort-hugo-von-hofmannsthal-im-ersten-weltkrieg/140407-hofmthal-leseheft-12rz-web2.pdf (20.06.2014)
Korngold, Julius: Hofoperntheater. („Ariadne auf Naxos“), in: Neue Freie Presse vom 5.10.1916, 1-5
Schuh, Willi (Hrsg.): Strauss, Richard, Hofmannsthal, Hugo von: Briefwechsel, München 1990
Zitate:
alle Briefzitate: Schuh, Willi (Hrsg.): Strauss, Richard, Hofmannsthal, Hugo von: Briefwechsel, München 1990
Korngold, Julius: Hofoperntheater. („Ariadne auf Naxos“), in: Neue Freie Presse vom 5.10.1916, 1-5
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Kapitel
- „Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten
- Patriotische Aufladung im Konzert der Völker
- „Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
- Ernste Zeit – ernste Kunst!
- „Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
- „Das deutsche Musikleben und seine Entlausung“ – Gebrauchsmusik für den Krieg
- „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
- „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
- Militarismus und Schrecken in Musik gesetzt
- „La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
- Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
- Komponistenschicksale: Krieg, Tod, Sehnsucht nach Frieden und Verarbeitung
- Komponistenstars und der „Große Krieg“