„La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
“Il suffit d’ajouter ‚militaire’ à un mot pour lui faire perdre sa signification. Ainsi la justice militaire n’est pas la justice, la musique militaire n’est pas la musique.“ (Georges Clemenceau)
(„Es genügt, ‚militärisch’ an ein Wort zu hängen, damit es seine Bedeutung verliert. So, wie ‚militärische Gerechtigkeit’ nicht Gerechtigkeit bedeutet, ist ‚Militärmusik’ keine Musik.“)
Wenig anders als in Österreich oder Deutschland zeigte sich das musikalische Leben in sonstigen Krieg führenden Staaten. Auch hier wurden Volkslieder zu Schlachtgesängen erhoben und die Musikschaffenden stellten sich überwiegend in den Dienst der patriotischen Sache.
In Frankreich drückte sich die Kriegsstimmung vor allem im populären Genre des Chanson aus, das durch seine starke Textkonzentration besonders geeignet war, Stimmungen und Botschaften zu vermitteln. Gestalteten sich die Chansontexte anfangs kämpferisch-optimistisch, wurden mit der Dauer des Kriegs der unterhaltende und ablenkende Charakter sowie die Freuden der Heimkehr nach dem errungenen Sieg relevant. Gegen Kriegsende kamen die Soldaten zu Wort und „ihre“ Chansons erzählten von Angst, Verzweiflung und Widerstand.
La Madelon entstand 1914 knapp vor Kriegsbeginn und entwickelte sich während des Ersten Weltkriegs zu einem veritablen Schlager. Das Chanson besingt das freizügige Barmädchen Madelon, das den Soldaten reihenweise den Kopf verdreht. Einen Heiratsantrag lehnt sie ab, denn, so trällert sie, „warum sollte ich denn nur einen Mann nehmen, wenn ich ein ganzes Regiment liebe?“. La Madelon wurde in Übersetzungen auch zum Soldatenlied in England und Spanien. 1939 sang Marlene Dietrich das Chanson in Paris anlässlich des französischen Nationalfeiertags, und während des Nationalsozialismus wurde die Melodie mit variierenden Texten zum Widerstandslied.
Ma p’tite Mimi stammt aus der Feder von Théodore Botrel, der sich bis Kriegsbeginn in Paris schon einen Namen als Chansonier gemacht hatte. Er wurde daher seitens der Regierung an die Front geschickt, um den Soldaten Unterhaltungsprogramme zu bieten. 1915 schrieb Botrel ein Liebeslied an „seine kleine Mimi“, deren vogelgleicher Gesang „Taratata, taratata, taratatère“ ihn verzaubert und die er über alles liebt. Mimi, wie er sein Maschinengewehr liebevoll nennt, begleitet den Soldaten durchs Kriegsleben, sodass er ihr ewige Treue schwört: „Jusqu'au bout, restons unis, Pour le salut du pays.“ (Wir bleiben zum Wohl des Landes bis zum Ende verbunden.) Am Ende des Krieges, nach der letzten Salve wird das Gewehr wehmütig in den Abschiedsschlaf gesungen: „Et tes pleurs mouilleront mes yeux, En te faisant mes adieux.“ (Beim Abschied benetzen mich Deine Tränen ...)
Nach der Niederlage der französischen Armee in Chemins des Dames und Craonne (Gebiet um Laon, Soissons und Reims in Nordfrankreich), wo eine der blutigsten Schlachten auf französischem Gebiet stattfand, entstand eines der populärsten Antikriegs-Chansons, das Chanson de Craonne. Auslöser waren neben der Niederlage Meutereien und deren Niederschlagung in der französischen Armee. Der Text stammt von einem anonymen Autor, die Melodie wurde einem Schlager aus dem Jahr 1913 entlehnt. Das Chanson wurde umgehend verboten (und blieb dies bis 1974), weil es – so die Argumentation – die Ehre von Armee und Kriegsveteranen verletze.
Bouzard, Thierry: Le chant militaire français: un patrimoine vivant, in: Revue historique des armées, 242/2006, 98-113. Unter: http://rha.revues.org/3982 (20.06.2014)
Chauveau, Philippe: Une histoire de la chanson française, Paris 2009
Tonaufnahme "La Madelon". Unter: https://www.youtube.com/watch?v=pZPoAvKSWG0 (20.06.2014)
Text: http://fr.wikipedia.org/wiki/La_Madelon (20.06.2014)
Tonaufnahme "Ma p’tite Mimi". Unter: https://www.youtube.com/watch?v=B9hjGeVpsoU (20.06.2014)
Text: http://www.dutempsdescerisesauxfeuillesmortes.net/paroles/ma_mitrailleus... (20.06.2014)
Tonaufnahme "Chanson de Craonne". Unter: https://www.youtube.com/watch?v=z-yRaEYQNQs (20.06.2014)
Text auf Deutsch: http://de.wikipedia.org/wiki/Chanson_de_Craonne (20.06.2014)
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Kapitel
- „Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten
- Patriotische Aufladung im Konzert der Völker
- „Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
- Ernste Zeit – ernste Kunst!
- „Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
- „Das deutsche Musikleben und seine Entlausung“ – Gebrauchsmusik für den Krieg
- „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
- „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
- Militarismus und Schrecken in Musik gesetzt
- „La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
- Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
- Komponistenschicksale: Krieg, Tod, Sehnsucht nach Frieden und Verarbeitung
- Komponistenstars und der „Große Krieg“