„Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
Soldatenlieder haben das soldatische Leben und Erleben zum Inhalt und sind – im Gegensatz zu den offiziell verordneten Kampfliedern – Äußerungen, die ohne Einflussnahme „gewohnheitsmäßig, freiwillig“ gesungen wurden und in denen der Soldat ausdrückt, „was ihn bewegt und was er sonst nicht selbst sagen kann und mag“, so der Volkskundler John Meier (1916). Soldatenlieder hatten unterschiedliche Inhalte, die von patriotischen Appellen über den Kampfaufruf bis zu Klagen und Protesten reichten. Während des Ersten Weltkriegs entstanden umfangreiche Sammlungen, die aus patriotischen, aber auch aus volkskundlichem Interesse angelegt wurden.
In Österreich wurde im April 1917 die Musikhistorische Zentrale (MHZ) k. u. k. Kriegsministerium gegründet. Ihr Leiter Bernhard Paumgartner hatte bereits zuvor eine Reihe von Soldatenliederheften publiziert. Ziel der MHZ war es, Volks- und Soldatenlieder zu sammeln, die einerseits der Heldentaten der Soldaten gedenken und andererseits zu Verständigung und Zusammenhalt innerhalb der Monarchie beitragen sollten.
Bernhard Paumgartner war ein in Wien geborener Komponist, Dirigent und Musikwissenschaftler, der von 1914 bis 1917 das Wiener Tonkünstler-Orchester leitete und im Auftrag des Kriegspressequartiers im Jahr 1916 vier Soldatenliederhefte veröffentlichte. Er stand in engem Kontakt mit Béla Bartók, der zusammen mit Zoltán Kodály den ungarischen Teil der MHZ-Sammlung beisteuerte. Die Idee, damit den Gesamtstaatsgedanken zu fördern und zur Überwindung der nationalen Gegensätze beizutragen, stieß auf die Schwierigkeit, dass es nur wenige geeignete Sammler gab und die Vorrangstellung des deutschsprachigen Liedguts einer gleichrangigen Bewertung des Kulturschaffens aller ethnischen Gruppen entgegenstand.
Neben Volks- und Soldatenliedern sammelte die MHZ auch Militär- und Pfeifermusik, Signale sowie die „kulturhistorisch interessanten Äußerungen des Soldatengeistes, welche mit den Volksliedern eng verknüpft sind“ (Paumgartner 1918) wie Soldatensprüche, Bräuche, Scherze, Reime, Rätsel und Briefe.
Im Jänner 1918 fand schließlich in Wien ein von der MHZ veranstaltetes Konzert statt, das in einem historischen und damals zeitgenössischen Teil Ergebnisse der Sammlung präsentierte. Das Programmheft enthielt die dargebotenen Liedtexte sowie Abbildungen und Aufsätze, wie beispielsweise von Béla Bartók (Die Melodien der madjarischen Soldatenlieder) oder vom Volkskundler Hans Commenda (Vom Soldatenlied) und von Felix Petyrek (Ueber das Soldaten-Volkslied der Slawen). Weitere Konzerte folgten in Budapest, Linz, Salzburg, Baden/NÖ und möglicherweise auch in Brünn. Teile der Sammlung, besonders die eingesandten Soldatenlieder, sind heute nicht mehr vorhanden.
Auch in Deutschland wurden Soldatenlieder dokumentiert und laufend publiziert. 1916 veröffentlichte John Meier eine bearbeitete Sammlung (Das deutsche Soldatenlied im Felde), die systematisch mittels eines Fragebogens an Soldaten ausgeweitet wurde. Ziel war es, nach Friedensschluss ein Liederbuch „für Heer und Volk“ herauszugeben, um so „ein allgemeingültiges Bild“ des Soldatenlieds im Weltkrieg zeichnen zu können. Damit wollte man zeigen, wie durch die „Umwertung aller Werte (...) altes neu belebt wurde“ und sich durch um- oder neugedichtete Lieder auch die schöpferische Kraft des Krieges voll entfalte. „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk“, vermerkte ein Rezensent von Meiers Publikation.
1926 erschien in Dresden die Weltkriegslieder-Sammlung, in der unter Mitarbeit von Kriegsteilnehmern mehr als 700 Texte von Liedern und Kriegsgedichten erfasst wurden.
Gerdes, Aibe-Marlene: Populäre Kriegslyrik als Sammelgegenstand. Die Weltkriegssammlungen im Deutschen Volksliederarchiv, in: Deterin, Nicolas, Fischer, Michael, Gerdes, Albe Marlene (Hrsg.): Populäre Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg, Münster 2013, 97-120
Hois, Eva Maria: Die Musikhistorische Zentrale – ein Kultur- und Zeitdokument ersten Ranges. Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums, Wien 2012
Hois, Eva Maria: Soldatenlied, in: Österreichisches Musiklexikon. Unter: http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_S/Soldatenlied.xml (20.06.2014)
Weltkriegslieder-Sammlung im deutschen Volksliederarchiv. Unter: http://www.volksliederarchiv.de/modules.php?name=Werke&query=Weltkriegs-Liedersammlung (20.06.2014)
Tonaufnahme Landwehrlied „Jeder Schuß ein Russ’ (1914)“. Unter: http://www.youtube.com/watch?v=LLw4zrTHNpM (20.06.2014)
Zitate:
„Umwertung aller Werte ...“: Helm, Karl: John Meier. Das deutsche Soldatenlied im Felde, in: Hessische Blätter für Volkskunde VX, 1916, 148-150, hier 148, zitiert nach: Gerdes, Aibe-Marlene: Populäre Kriegslyrik als Sammelgegenstand. Die Weltkriegssammlungen im Deutschen Volksliederarchiv, in: Deterin, Nicolas, Fischer, Michael, Gerdes, Albe Marlene (Hrsg.): Populäre Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg, Münster 2013, 97-120, hier: 111
„Was jetzt der Feldgraue singt ...“: Weltzien, Kurt: Das deutsche Soldatenlied im Felde, in: DVA S 0198, zitiert nach: Gerdes, Aibe-Marlene: Populäre Kriegslyrik als Sammelgegenstand. Die Weltkriegssammlungen im Deutschen Volksliederarchiv, in: Deterin, Nicolas, Fischer, Michael, Gerdes, Albe Marlene (Hrsg.): Populäre Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg, Münster 2013, 97-120, hier: 111
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Kapitel
- „Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten
- Patriotische Aufladung im Konzert der Völker
- „Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
- Ernste Zeit – ernste Kunst!
- „Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
- „Das deutsche Musikleben und seine Entlausung“ – Gebrauchsmusik für den Krieg
- „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
- „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
- Militarismus und Schrecken in Musik gesetzt
- „La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
- Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
- Komponistenschicksale: Krieg, Tod, Sehnsucht nach Frieden und Verarbeitung
- Komponistenstars und der „Große Krieg“