„Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
Der Erste Weltkrieg geriet zu einem Feldzug konservativer Kunst- und Kulturkritiker gegen die „Moderne“. In seitenlangen Abhandlungen beschäftigten sich Musikkritiker und Musikwissenschaftler mit der „Analyse“ der aktuellen musikalischen Produktion und Aufführungspraxis und gaben vor, wie die Funktion und Entwicklung der Musik in Kriegszeiten auszusehen hätten.
Der Wiener Musikwissenschaftler Guido Adler forderte eine „strenge Zucht im Kunstbetrieb“ ein. Der neuesten Instrumentalmusik schrieb er gar eine nervenzerrüttende Wirkung zu und meinte, dass es Aufgabe der Kunst sei, „nicht äußerlich [zu] erregen, sondern [zu] erheben und [zu] läutern“. Adlers Empfehlung lautete, die Musik möge zu „reinen Quellen“ zurückkehren, die er im einfachen Gesang, in der Kammermusik und in der Wiener klassischen Instrumentalmusik verortete. Diese Genres müssten gefördert und – nicht während der Woche, sondern an Sonntagnachmittagen – unters Volk gebracht werden. Dem Trend zur Unterhaltungsmusik, hier vor allem der „Operettenseuche“, erteilte er gleichzeitig eine strikte Absage. Zufrieden kommentierte er eine Entwicklung, die er aus den Feldpostbriefen ableitete, wonach die „Possencouplets verschwinden und bessere Weisen ernster und heiterer Stimmung Platz machen“.
Auch der prominente Musikkritiker Julius Korngold konstatierte eine Verflachung der Musik, die vor dem Krieg im gefallsüchtigen Spiel Oberhand gewonnen hätte: „Gewahren wir nicht, wie der moderne Mensch in diesen Tagen die Nerven verliert (...), diese kraftlos hinträumenden, tüftelnden, bangenden, erotisch erregten und – immer im Uebermaß genießenden Nerven?“ Er sah im Krieg die Chance zur Rückbesinnung auf das „Wahrhaftige“ und „Natürliche“ in der Musik, denn „[d]ie Musen lernen das Dienen im Kriege“. Ebenso kritisch wie jenes von Adler fiel sein Urteil über die „leichte“ Musik aus, die im Varieté, auf der Operettenbühne und im teuren Nachtlokal einen Abstieg erlebt habe. Gefährdet sei dadurch der „Geschmack, wo die Hemmungen zuverlässiger musikalischer Bildung fehlen. Wahrhaftig, die Luft scheint reiner geworden seitdem der Krieg Favoritmelodien emporgebracht hat, die der Volksgunst würdiger sind“.
Korngold stellte einen Kanon geeigneter Musikstücke auf, wonach an oberster Stelle die Haydn-Hymne stand, die der „schönste, gehaltvollste musikalische Einfall“ sei. Gleich danach führte er die preußische Kaiserhymne Heil Dir im Siegerkranz an, weil diese in der gängigen Vortragsweise Ausdruck der deutschen Schlagkraft und Energie sei. Freilich ortete Korngold hierbei ein Problem, wurde doch die preußische Hymne nach derselben Melodie wie die englische Hymne God save the King gesungen, allerdings sei doch „manches vom Wesen deutscher Liedweise in dieser Melodie“ enthalten. Auf seiner Liste empfehlenswerter Stücke fanden sich weiters Wenn ich ein Vöglein wär’, Die Wacht am Rhein und schließlich – als Antwort auf das „blutige Ça ira“ der Franzosen – „unser Radetzkymarsch“, sowie „als eines der schönsten Kriegslieder aller Zeiten (...) das Prinz Eugenlied“.
Schlussendlich verordnete Korngold der Spielsaison 1914/15 Zurückhaltung und Sparsamkeit. In der Auswahl der Stücke sollten große Chor- und Orchesterkörper dem erhöhten Gemeinschaftsgefühl entgegenkommen, womit sich „die Masse an die Masse wendet“. Und damit definierte er auch, wo das Konzert seinen Stoff zu suchen hatte, nämlich „im sicheren Meistergut“ und „im unangezweifelt Gehaltvollen“. Korngold zeigte jedoch eine gewisse Liberalität gegenüber der „Feindesliteratur“, zumindest wenn deren Schöpfer bereits tot waren, denn „der Krieg störe den Frieden der Toten nicht“!
Korngold, Julius: Krieg und Musik. Aphoristische Betrachtungen, in: Neue Freie Presse vom 31.10.1914, 1-4
Nussbaumer, Martina: „Jetzt ist die Stunde da, in der nur das Höchste laut werden darf.“ Zur Aufrüstung des klassischen Musiklebens, in: Pfoser, Alfred, Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs, Wien 2013, 374-385
Zitate:
Zitate Adler: Adler, Guido: Die österreichische Tonkunst und Weltkrieg, Wien 1915, zitiert nach: Nussbaumer, Martina: „Jetzt ist die Stunde da, in der nur das Höchste laut werden darf.“ Zur Aufrüstung des klassischen Musiklebens, in: Pfoser, Alfred, Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs, Wien 2013, 374-385, hier 377
Zitate Korngold: Korngold, Julius: Krieg und Musik. Aphoristische Betrachtungen, in: Neue Freie Presse vom 31.10.1914, 1-4
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Kapitel
- „Salonrock statt Frack“ – der Musikbetrieb in Sparzeiten
- Patriotische Aufladung im Konzert der Völker
- „Die Musen lernen das Dienen im Kriege.“
- Ernste Zeit – ernste Kunst!
- „Tanzen möcht’ ich, jauchzen möcht’ ich“ – Unterhaltungsmusik im Ersten Weltkrieg
- „Das deutsche Musikleben und seine Entlausung“ – Gebrauchsmusik für den Krieg
- „Was jetzt der Feldgraue singt, singt in seltener Einheit das gesamte deutsche Volk.“ – Das Soldatenlied als Sammelgegenstand
- „Hugo hat die verdammte Pflicht, den Tod fürs Vaterland nicht zu sterben, bevor ich meinen III. Akt habe.“ – Richard Strauss und der Erste Weltkrieg
- Militarismus und Schrecken in Musik gesetzt
- „La Victoire en chantant“ – Das französische Chanson im Ersten Weltkrieg
- Musikalische Innovationen im Ersten Weltkrieg
- Komponistenschicksale: Krieg, Tod, Sehnsucht nach Frieden und Verarbeitung
- Komponistenstars und der „Große Krieg“