Anlässlich des Geburtstags von Kaiser Franz Joseph lud das Deutsche Volkstheater im August 1914 als eine der wenigen Wiener Bühnen, die zu Kriegsbeginn nicht schlossen, zu einer Festveranstaltung, deren Erträge dem Roten Kreuz zuflossen. Das Programm stand ganz im Zeichen einer kriegspatriotischen Kundgebung. Grillparzers Version der Volkshymne folgten Szenen aus Schillers Wilhelm Tell und Wallensteins Lager. Der musikalische Teil erreichte mit der Darbietung der Wacht am Rhein einen ersten Höhepunkt: „Es erhob sich das Publikum von den Sitzen. Hochrufe wurden laut, begleiteten auch den Vortrag des Radetzkymarsches und des ‚Prinz-Eugen-Liedes’, die österreichische Volkshymne und das ‚Heil dir im Siegerkranz’ wurde mitgesungen, und zum Schlusse begrüßte man mit lautem Jubel das Lied ‚O du mein Österreich’!“

Dieses Repertoire wurde zu einem Leitfaden patriotischer Kundgebungen an diversen Bühnen der Monarchie, so beispielsweise Anfang September am Neuen Deutschen Theater in Prag (heute Státní opera Praha) unter seinem Musikdirektor Alexander von Zemlinsky und auch in Wien am 3. Oktober bei einem Festkonzert für wohltätige Zwecke mit einem Teil des Hofopernensembles und den Wiener Philharmonikern. Dementsprechend zufrieden zeigte sich Julius Korngold und vermerkte anlässlich des Wohltätigkeitskonzerts: „Eine außerordentliche Veranstaltung, ein erhebendes Aufflammen des Gemeinschaftsgefühles (...) eine musikalische Bekräftigung des Willens zum Siege der Waffenbrüderschaft Deutschlands und Oesterreich-Ungarns.

Anlässlich der Wiedereröffnung der Hofoper äußerte er sich wohlgefällig über die Wahl der ersten drei Werke auf dem Spielplan: „Wagner, Mozart, Beethoven; sie deutet auf die Absicht, in ernster Zeit ernster Kunst den Vorzug zu geben.“ Positiv beurteilte Korngold auch die Ausführung des Saisonauftakts mit Wagners Lohengrin, denn die „aktuellen Beziehungen strömten dem Zuhörer in Fülle zu, um im ersten wie im dritten Akt mit Begeisterung aufgegriffen zu werden“.

Im Allgemeinen bilanzierte Richard Specht, Herausgeber der renommierten Musikzeitschrift Der Merker, das Musikleben der ersten Kriegssaison positiv: Die ernsten symphonischen Aufführungen mit ihren Schwerpunkten auf Beethoven, Bruckner und Brahms seien „überfüllt“ gewesen. Kritik übte er allerdings am Spielplan der Hofoper, die zu wenig Mut für Neues gezeigt hätte und wenigstens mehr Wagner aufführen hätte können, „dessen Werk wie kein anderes Stimmung und Inhalt deutschen Wesens und der Erhebung der Gegenwart widerspiegeln“. Auf einem Vermerk anlässlich eines Journalistenempfangs, an dem die Spielsaison 1914/15 resümiert wurde, ist Wagner allerdings mit elf Werken in 38 Aufführungen vertreten – dies bei insgesamt 145 Spieltagen!

Ein Problem für die Bühnen stellte die geforderte Verbannung von „feindlichen“ Kompositionen aus dem Spielplan dar. Dieser Boykott hatte auch ökonomische Folgen, denn Kassenschlager wie die Opern von Verdi, Puccini oder Bizets Carmen sollten aus dem Repertoire gestrichen werden. Zumindest der Hofoperndirektor Hans Gregor hielt sich nicht lückenlos an diese Direktive; Im vorläufigen Spielplan 1915/16 seines Hauses fanden sich Carmen, Hoffmanns Erzählungen, Rigoletto, Der Troubadour, La Traviata, Aida, Der Barbier von Sevilla, Othello und weitere Opern von Komponisten aus dem „feindlichen“ Ausland. Bemerkenswert ist, dass mit La Bohème, Tosca und Madame Butterfly gleich drei Werke des sonst geschmähten Puccini zur Aufführung gelangen sollten. Im Jänner 1918 richteten drei Abgeordnete des Deutschen Nationalverbands wegen der angeblichen Bevorzugung „fremdländischer und feindlicher Autoren“ seitens der Hofoperndirektion eine empörte Anfrage im Abgeordnetenhaus: „Sind Sr. Exzellenz die unerhörten Begünstigungen fremdnationaler Komponisten seitens der Direktion des Hofoperntheaters bekannt und was gedenkt Sr. Exzellenz zu tun, um eine derartige das nationale Empfinden der Deutschen Wiens verletzende, die deutschen Komponisten schädigende Praxis in Zukunft zu verhindern? Was denkt seine Exzellenz insbesondere zu veranlassen, um die durch die geplante Erstaufführung einer czechisch-nationalen Oper in Wien [gemeint ist hier die Oper Jenůfa von Leoš Janáček, Anm. der Autorin] zu befürchtende Kundgebung und die daraus begreiflicherweise entstehende Gegenkundgebung hintanzuhalten?“

Bibliografie 

Nussbaumer, Martina: „Jetzt ist die Stunde da, in der nur das Höchste laut werden darf.“ Zur Aufrüstung des klassischen Musiklebens, in: Pfoser, Alfred, Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs, Wien 2013, 374-385

Regler, Liselotte: Hans Gregor – Die Ära des letzten Hofoperndirektors in Wien. Dissertation Wien 2010, unter: http://othes.univie.ac.at/10107/1/2010-05-10_9008228.pdf (20.06.2014)

 

Zitate:

„Es erhob sich das Publikum ...“: Wiener Tagblatt, 18.8.1914

„Eine außerordentliche Veranstaltung ...": Neue Freie Presse vom 4.10.1914, 1

„Wagner, Mozart, Beethoven ...", „aktuellen Beziehungen strömten dem Zuhörer ...": Neue Freie Presse vom 19.10.1914, 8

„überfüllt“, „dessen Werk wie kein anderes ...": Specht, Richard: Die Wiener Theater und das Publikum im Kriegsjahr, in: Der Merker 6/15+16, 1915, 549-557, hier: 555f., zitiert nach Nussbaumer, Martina: „Jetzt ist die Stunde da, in der nur das Höchste laut werden darf.“ Zur Aufrüstung des klassischen Musiklebens, in: Pfoser, Alfred, Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs, Wien 2013, 374-385, hier: 379

„Sind Sr. Exzellenz die unerhörten ...": Fremdenblatt vom 30.1.1918. Unter: http://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/717596 (20.06.2014)

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