Weder Deutschland und Österreich-Ungarn noch Russland gelang es, in den von ihnen für kürzere oder längere Zeit eroberten Territorien eine stabile Ordnung zu schaffen und die einheimische Bevölkerung längerfristig an sich zu binden. Das galt in unterschiedlicher Intensität und Ausformung für nahezu alle betroffenen Territorien, allen voran für Polen, die Ukraine und das Baltikum.
Die negative Bilanz nahezu aller Okkupationserfahrungen basierte vor allem auf wachsenden ökonomischen Krisen und zunehmenden Versorgungsengpässen. Die Lebensmittelrationen im gesamten russisch-polnischen Okkupationsgebiet, das in ein deutsches und ein österreichisch-ungarisches Generalgouvernement geteilt war, sanken beispielsweise von mehr als 3.000 Kalorien pro Kopf vor 1914 auf 891 im Frühjahr 1918.
Allerdings unterschieden sich diese Entwicklungen nicht von der Lage in den Ballungszentren und Hauptstädten der Donaumonarchie, des Hohenzollern- und des Zarenreiches. Signifikanterweise ließ es beispielsweise Kaiser Karl nicht an dramatischen Appellen fehlen, als er einige seiner Generäle im Frühjahr 1918 mit der ökonomischen Ausbeutung der besetzten Ukraine betraute. Die „Fortführung des Krieges“ hänge davon ab, erklärte Karl, der in Zusammenhang damit „rücksichtslose“, eventuell gewaltsame „Requirierungen“ einmahnte.
Mit oder ohne „energisches Auftreten“ verfehlten die Mittelmächte ihr Ziel allerdings klar. Schon im Sommer 1918 ließ sich erkennen, dass die Ergebnisse der Bemühungen um eine bessere Nahrungsmittelversorgung hinter den Erwartungen zurückblieben. Statt der 200.000 Stück Vieh, die bis zum 31. Juli vereinbart waren, erhielt man lediglich 91.000. Noch krasser fiel das Missverhältnis bei Getreide und Futtermitteln aus. Vom sogenannten „Brotfrieden“ mit der Kiewer Regierung erhofften sich Wien und Berlin rund eine Million Tonnen Lebensmittel. Tatsächlich aber wurden bis zum 23. Dezember 1918 knapp 138.000 Tonnen verladen, wovon 129.000 die Grenze passierten und beispielsweise nur rund 49.000 Tonnen letztendlich im Deutschen Reich ankamen.
Zu den enttäuschenden Resultaten in wirtschaftlicher Hinsicht kamen für die Okkupationskräfte die ernüchternden Erfahrungen mit oppositionellen Einheimischen, prosowjetischen Kräften, Resten der früheren Zarenarmee oder verfeindeten Ethnien hinzu. Speziell Aufstände und „antibolschewistische Feldzüge“ mündeten dabei in einen Guerillakrieg und in diverse Rückzugsgefechte mit den fliehenden „Roten“. Obwohl die Ukraine zu den „okkupierten Freundstaaten“ gehörte und bisweilen um die Sympathie der lokalen Bevölkerung geworben wurde, blieb das Verhältnis zu dieser letztlich distanziert. Nicht viel anders stellten sich die Beziehungen zwischen den Besatzern und den Einheimischen auch nördlich beziehungsweise nordöstlich des Warschauer Generalgouvernements dar, in jenen multiethnischen Gebieten, die in Anlehnung an den Titel des Kommandanten über alle Hohenzollerntruppen an der Ostfront den Namen „Ober Ost“ erhielten, aber auch in den Teilen Galiziens, die zu Kriegsbeginn unter russischer Aufsicht gestanden waren.
Dornik, Wolfram et al.: Die Ukraine zwischen Selbstbestimmung und Fremdherrschaft 1917–1922, Graz 2011
Hagen, Mark von: War in a European Borderland. Occupations and Occupation Plans in Galicia and Ukraine, 1914–1918, Seattle/London 2007
Liulevicius, Vejas Gabriel: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002
Scheer, Tamara: Zwischen Front und Heimat. Österreich-Ungarns Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2009
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Kapitel
- „Die vergessene Front“ – Die lange Vernachlässigung und das neue Interesse am „Osten“
- Charakteristika der Kriegsführung an der russischen Front
- Folgen der Offensiven und Geländegewinne
- Krieg gegen die eigene Bevölkerung
- Die Eröffnungsfeldzüge
- Die Katastrophe der Zarenarmee
- „Ein letztes Aufbäumen“ Russlands
- Die russische Revolution und der fragile Frieden im „Osten“
- Okkupation
- Gewalt ohne Ende