Die russische Revolution und der fragile Frieden im „Osten“
Im Unterschied zu der seit der „Februarrevolution“ amtierenden Provisorischen Regierung plädierten die Bolschewiki unter Wladimir I. Lenin für ein Ende des „imperialistischen Krieges“ und vermochten nicht zuletzt auf diese Weise, kampfmüde Soldaten und weite Teile der Bevölkerung anzusprechen. Nach der „Oktoberrevolution“ bemühte sich die neue, von Lenin geführte Sowjetregierung sogleich um den Abschluss eines Waffenstillstandes.
Seit der Februarrevolution erlebte Russland einen rapiden Verfall staatlicher Strukturen und Hierarchien. Die Bolschewiki, die davon zunächst profitierten, sahen sich nach ihrer Machtergreifung Ende 1917 aber vor die Aufgabe gestellt, neue Herrschaftsinstrumente zu schaffen. Unter anderem bildeten sie die für den Fortbestand der Sowjetrepublik essenzielle Rote Armee.
Parallel dazu wandte sich das „Oktoberregime“ mit Friedensparolen an die Weltöffentlichkeit. Entgegen den Hoffnungen alliierter Kreise, Russland an ihrer Seite im Krieg zu halten, entschieden sich die Bolschewiki – die sich seit dem Frühjahr 1918 offiziell Kommunisten nannten und in ihrem Machtbereich früh eine Einparteiendiktatur errichteten – für einen Waffenstillstand und anschließende Verhandlungen mit den Mittelmächten.
Vor allem das Deutsche Reich, das im Verlauf des Krieges seinen österreichisch-ungarischen Bündnispartnern nur noch einen Vasallenstatus zubilligte, machte Lenins Sowjetregierung, dem Rat der Volkskommissare, jedoch klar, dass es die Bedingungen für ein Übereinkommen zu stellen dachte.
Die daraufhin hinausgezögerten und vorerst erfolglosen Gespräche endeten schließlich mit einem Ultimatum und einem neuerlichen Vormarsch der Deutschen und Österreicher. Parallel dazu entstanden in den westlichen Randgebieten des untergegangenen Zarenreiches separatistische Bewegungen und Nationalstaaten, die der von nun an in Moskau residierenden Sowjetführung die Stirn boten.
Vor diesem Hintergrund zeitweilig sogar wieder an einer Allianz mit der Entente interessiert, akzeptierten Lenin und sein wichtigster Mitstreiter, Lev Trotzki, schließlich die harten, mit beträchtlichen territorialen Verlusten verbundenen Friedensbedingungen des am 3. März 1918 unterzeichneten Vertrags von Brest-Litowsk.
Die auch unter den Sympathisanten der „Rätemacht“ äußerst kontroversiell aufgenommenen Absprachen mit den Generälen Kaiser Wilhelms II. empfand indes auch Lenin selbst lediglich als taktische Manöver, als „Atempause“ vor der von den Bolschewiki erhofften und erwarteten Weltrevolution. Der Brester Friede blieb daher brüchig. In den von den Mittelmächten kontrollierten „Ostgebieten“ kam es immer wieder zu Aufständen teilweise prosowjetischer Kräfte. An der deutsch-russischen Demarkationslinie fehlte es nicht an Übergriffen und Grenzverletzungen.
Auf den „Umsturz im Westen“ wartete die Moskauer Kremlführung indes vergeblich. Soziale und ökonomische Krisen sowie der Zusammenbruch des Hohenzollern- und des Habsburgerreiches waren nur bedingt vom „russischen Beispiel“ beeinflusst. Sympathien für Lenins Überzeugungen blieben auf einzelne Sachthemen und Protestbewegungen beschränkt.
Figes, Orlando: Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891–1924, Berlin 1998
Moritz, Verena/Leidinger, Hannes: Die Russische Revolution, Wien/Köln/Weimar 2011
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Kapitel
- „Die vergessene Front“ – Die lange Vernachlässigung und das neue Interesse am „Osten“
- Charakteristika der Kriegsführung an der russischen Front
- Folgen der Offensiven und Geländegewinne
- Krieg gegen die eigene Bevölkerung
- Die Eröffnungsfeldzüge
- Die Katastrophe der Zarenarmee
- „Ein letztes Aufbäumen“ Russlands
- Die russische Revolution und der fragile Frieden im „Osten“
- Okkupation
- Gewalt ohne Ende