Zur „Vernichtungseffizienz“ kamen im Osten die demographischen Konsequenzen eines industriellen „Maschinenkrieges“ mit bislang unbekannten Massenmobilisierungseffekten. Dies schlug sich in langen Gefallenen-, Verwundeten- und Gefangenenlisten nieder. Der Bewegungskrieg zog außerdem die zivile Bevölkerung von schier unüberschaubar großen Kampfgebieten, Etappenräumen und Besatzungszonen in Mitleidenschaft.
Neben der Kriegsgefangenschaft prägten Zwangsmigrationen die Frontgebiete zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer sowie im Hinterland des Hohenzollern-, des Habsburger- und Zarenreiches. Allein in Russisch-Polen wurden rund 750.000 Menschen von der Zarenarmee ausgesiedelt. Ähnliche Deportationen führten russische Streitkräfte 1914 während ihrer Eröffnungsoffensiven in Ostpreußen durch, wenngleich davon vergleichsweise „nur“ insgesamt 13.600 Personen betroffen waren. Die meisten wurden jedoch nicht deportiert, an bestimmte Zielorte transportiert beziehungsweise interniert, sondern verließen infolge der Kriegshandlungen „aus eigenem Antrieb“ ihre Heimatgebiete. Rund 500.000 Menschen waren davon in Preußen betroffen. Mehrheitlich konnten sie aber schon bald mit den vorrückenden Mittelmächten in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete zurückkehren.
Ähnliches galt auch für Hunderttausende Menschen, die den Kriegsschauplatz Galizien verlassen hatten, allerdings dann durch die fortgesetzte Bedrohung der nordwestlichen Außengrenze Österreich-Ungarns immer wieder gezwungen waren, im Hinterland Schutz zu suchen. Speziell die sogenannte russische „Brussilow-Offensive“ löste eine neue Fluchtwelle aus, sodass sich die k. k. Behörden mit einer weiteren Repatriierungsaktion Zeit ließen. Die Konsequenzen dieser Entscheidung zeigten sich beim Zusammenbruch der Donaumonarchie, als sich allein auf dem Staatsgebiet der späteren Republik Österreich noch zirka 310.000 „nichtdeutsche“ Flüchtlinge befanden.
Aufgrund des Vormarsches der Hohenzollerntruppen in Polen und im Baltikum war von einer dauerhaften Entwurzelung großer Bevölkerungsteile speziell das Imperium von Zar Nikolaus II. betroffen. Ende 1915 gingen die zuständigen Stellen in St. Petersburg von ungefähr drei Millionen „Heimatlosen“ aus, kurz vor Beginn der Februarrevolution sogar von fünf bis sechs Millionen, also rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung.
In der Folge mussten sich die deutschen und österreichisch-ungarischen Soldaten in ihrer Ansicht bestätigt fühlen, bei vielen eroberten Gebieten handle es sich um menschenleere Einöden. Schließlich sank die Populationsdichte durch die Kampfhandlungen beträchtlich. Litauen verlor zum Beispiel ein Viertel seiner Vorkriegsbevölkerung, in Kurland war es sogar mehr als die Hälfte.
Gatrell, Peter: A Whole Empire Walking. Refugees in Russia during World War I, Bloomington/Indianapolis 1999
Mentzel, Walter: Kriegsflüchtlinge in Cisleithanien im Ersten Weltkrieg, Diss. Wien 1997
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Kapitel
- „Die vergessene Front“ – Die lange Vernachlässigung und das neue Interesse am „Osten“
- Charakteristika der Kriegsführung an der russischen Front
- Folgen der Offensiven und Geländegewinne
- Krieg gegen die eigene Bevölkerung
- Die Eröffnungsfeldzüge
- Die Katastrophe der Zarenarmee
- „Ein letztes Aufbäumen“ Russlands
- Die russische Revolution und der fragile Frieden im „Osten“
- Okkupation
- Gewalt ohne Ende