Nationalitätenpolitik im Vielvölkerreich

Am Beginn des Zeitalters der Nationswerdung diente das Reich der Habsburger als Treibhaus für die Entwicklung nationaler Konzepte für die Völker Zentraleuropas.  Später wurde der staatliche Rahmen der Doppelmonarchie jedoch immer öfter als Hindernis für eine vollkommene nationale Entfaltung gesehen.

Auf verfassungsrechtlicher Ebene bestand der Grundsatz der Gleichberechtigung der Nationalitäten. In der Realität wurde dieser jedoch unterschiedlich interpretiert: Die österreichische Reichshälfte verstand sich als Nationalitätenstaat, die ungarische aber als magyarischer Nationalstaat. Die staatlichen Zentralbehörden versuchten den Gesamtstaat zu betonen, während die Vertreter der Volksgruppen eine stärkere Föderalisierung forderten.

Die Vertreter des Gesamtstaatsgedankens versuchten den immer deutlicher auftretenden zentrifugalen und separatistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Die Beschwörung eines supranationalen Patriotismus – in erster Linie verkörpert durch die Klammer der Dynastie und Symbole des Reichsgedankens wie den Doppeladler – war jedoch ein schwaches Gegenmittel für den nationalen Furor. Das Primat der Nationalitätenfrage bestimmte die Innen- und Außenpolitik in einem erdrückenden Ausmaß.