Männlichkeiten – Hierarchien, Rivalitäten, Konkurrenzen

Das einzigartige multinationale Armeekonzept der Habsburgermonarchie, in der die verschiedenen Ethnien dem Kaiser und der Idee eines gemeinsamen „Vaterlandes“ verpflichtet waren, führte im Ersten Weltkrieg zu verschiedenen regional, konfessionell und sozial geprägten militärischen Männlichkeiten.

Diese Pluralität von Männlichkeitsentwürfen wird in Franz Theodor Csokors Drama 3. November 1918 (1936) von einem ungarischen Offizier auf den Punkt gebracht: „Herr Oberst – als alter Kavallerist – wir sind nicht aus einem einzigen Stall wie drüben die Deutschen.“ Das Drama schildert eine Gruppe von Offizieren aus den verschiedenen Nationen der Monarchie, die in einem abgelegenen Ort das Kriegsende erleben. Der dienstälteste Offizier Radosin hält als einziger an der übernationalen Idee des sterbenden Reiches fest, doch zwischen den Offizieren zeichnen sich nationale, ethnische und politische Konfliktlinien ab. Radosin zieht die einzig mögliche Konsequenz und tötet sich als letzter, heimatlos gewordener Stellvertreter für Reich, Kaiser und Armee.

Dass die österreichischen Offiziere unterschiedlicher nationaler Provenienz sind und nicht ohne Reibereien und Konflikte miteinander auskommen, geht auch aus dem Roman Die große Phrase (1919) von Rudolf Jeremias Kreutz hervor, der verschiedene Rivalitäten und Konkurrenzen inszeniert. Die einen setzen auf „deutsche Kraft, deutsche Zähigkeit“, die anderen verlieren nicht den Glauben an die Österreicher mit slawisch-femininen Eigenschaften. Das Ankommen der deutschen Truppen illustriert den Unterschied zwischen der deutschen und österreichischen militärischen Männlichkeit: „Das Gesicht der Landschaft wird stählern, keine weiche Sterbensmelancholie mehr, keine Verschwommenheit (…)“. Auch in Bodo Kaltenboecks Armee im Schatten (1932) erscheinen die Deutschen als „diszipliniert“ und die Österreicher als „schlampig“, wobei besonders betont wird, dass die österreichischen Offiziere die Fähigkeit besitzen, zwischen Schlachtfeld und Kaffeehaus problemlos zu changieren: „Darum sind wir ja auch die Operettenfiguren auf unseren Bühnen. Immer elegant, immer höflich, immer liebenswürdig, immer Walzer tanzend.“

In Alexander Lernet-Holenias Roman Die Standarte (1934) wird der temporäre Charakter der k. u. k. Soldaten besonders herausgestellt („Sie bleiben, auch in Uniform, immer noch die Bauern, die sie sind.“) und die österreichische militärische Disziplin als „anerzogen“ charakterisiert. Der österreichische Kriegsheld, der durch verschiedene nationale Kulturen geprägt worden ist, schwankt zwischen der „deutschen“ Tüchtigkeit und Disziplin und der „österreichischen“ Gemütlichkeit und Einfühlsamkeit. Sowohl die ethnischen Differenzen als auch der Einfluss der deutschen „stählernen“ Kultur, die eben ein Kontrastbild zur österreichischen Leichtigkeit und „Operettenhaftigkeit“ darstellt, sorgen für Spannungen und Ungleichheitsverhältnisse.

In diesem heterogenen militärischen Raum werden verschiedene Inklusionen und Exklusionen sichtbar. Die deutsch-österreichischen Offiziere – loyale, maskulin-harte, tollkühne Männer – erscheinen, mindestens in der heroisierenden Literatur, als privilegiert und sollen Maßstäbe des Heroismus setzen. Gegenüber von Nicht-Deutschen, Nicht-Offizieren bzw. abweichenden Männlichkeiten (Feige, Wahnsinnige, Deserteure, Zivile) zeichnen sie sich durch Kaisertreue und Erfüllung der militärischen Mission aus – ihr militärischer Habitus wird nicht brüchig.

Bibliografie 

Früh, Eckart: Rudolf Jeremias Kreutz und seine Romane aus der Kriegszeit, in: Amann, Klaus/Lengauer, Hubert (Hrsg.): Österreich und der Große Krieg 1914-1918. Die andere Seite der Geschichte, Wien 1989, 164-170

Rieger, Markus: Zauber der Montur. Zum Symbolgehalt der Uniform in der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit, Wien 2009

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

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