„Schwarze Verwesung“ – Soldaten als Opfer
In der österreichischen Literatur werden die verheerenden Wirkungen des Krieges auf einzelne Männer und auf die Kondition der militärischen Männlichkeit thematisiert. Die Schriftsteller setzen sich mit dem Antlitz des Krieges als eines gnadenlosen „Maschinisten“, der Männer niedermäht oder in Invaliden verwandelt, auseinander.
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tötlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! Ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Der Krieg erscheint als ein einschneidendes Erlebnis, das die Männlichkeit problematisiert und Männer zur körperlichen und psychischen Immobilität, Schwäche und Lebensuntüchtigkeit verurteilt. Leiden und Sterben bzw. der Status von willenlosen Marionetten im Kriegsbetrieb, die keinen Einfluss auf das Geschehen gewinnen, stehen im krassen Gegensatz zum ruhmreichen Schicksal der „Helden“, wie es von nationalistisch gesinnten Schriftstellern erzählt bzw. kreiert wird.
Bereits in den ersten Kriegsmonaten wird immer mehr spürbar, dass der Große Krieg ein desaströses Erlebnis für die Männer darstellt. Der Kriegsalltag und die Front entsprechen nicht im Geringsten der Männerphantasie, ein privilegiertes maskulines Abenteuer zu sein. Er ist ein Gemetzel für Männer, die Helden werden wollten. Gedemütigt, verletzt, vernichtet zu werden, ist ein kollektives Schicksal, das eine Leidensgemeinschaft der Opfer entstehen lässt.
In Stefan Zweigs Gedicht Der Krüppel (1915) bekommt ein verstümmelter Soldat Hilfe und Trost von den mitleidenden Kameraden. Sie sprechen ihm Mut zu, bringen ihm Essen, trösten ihn: „O wie war alles sanft jetzt und gut. Wie so brüderlich die Welt, die ihn, den Krüppel,/ umringte/ Wie so fremd jener andern, aus der er rückschauend kam.“ Andererseits fühlen sich die in literarischen Texten dargestellten Kriegsversehrten einsam, verlassen, marginalisiert, wie im Gedicht von Albert Ehrenstein Dem ermordeten Bruder (1917), in dem einer der „Mußhelden“ erkrankt, als Simulant eingestuft wird und schließlich stirbt – „gefangener Falter im Kriegsgespinnst“. Eine der bekanntesten lyrischen Darstellungen des soldatischen Todes ist das von Georg Trakl gezeichnete Bild der „schwarzen Verwesung“ im Gedicht Grodek (1914), in dem von „Geistern der Helden“ die Rede ist und das eine Klage über die im Inferno der Materialschlacht sterbenden Krieger formuliert.
Drastische Bilder der Soldaten als Opfer finden sich in Andreas Latzkos Erzählungen aus dem in Deutschland und Österreich verbotenen und in Zürich erschienenen Band Menschen im Krieg (zuerst anonym 1917). Den Krieg kennzeichnet er als eine „Krüppel- und Leichenfabrik“, in der die Männer in ein „engmaschiges Netz aus Stahl und Blei“ geraten und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden. Der fragmentierte männliche Körper steht im krassen Widerspruch zu den nationalistischen Phantasien von Ganzheit oder von einer intakten Männergemeinschaft.
In seinem Tagebuch Soldat im Prager Korps (1922) (bekannter unter dem Titel Schreib das auf, Kisch!) dokumentiert der Kriegsteilnehmer und Schriftsteller Egon Erwin Kisch die Stationen seiner Involvierung in den Krieg, den er immer kritischer beurteilt. Sein männliches Kriegsabenteuer erscheint als unromantisch und inhuman. Die eigenen Aktivitäten präsentieren sich keinesfalls als Heldentaten, sondern als Strategien zur Betäubung von Angst, Grauen und Verzweiflung. Kisch registriert immer mehr Tote und Verletzte, das Leiden der Soldaten, die Arroganz der Offiziere. Schließlich wird er verwundet und beschließt, endlich aus dem Dienst auszuscheiden: „Ich werde im Bett liegen und Bücher lesen, und vielleicht werde ich Mädchen küssen, im Kaffeehaus sitzen und mit Freunden sprechen …“ Militärische Männlichkeit stößt in vielen literarischen Texten an ihre Grenzen und lässt sich im Angesicht der vernichtenden Waffentechnik weder ideologisch noch körperlich-mental aufrecht erhalten.
Barker, Andrew: „Ein Schrei, vor dem kunstrichterliche Einwendungen gern verstummen“ – Andreas Latzko: Menschen im Krieg (1917), in: Schneider, Thomas F./ Wagener, Hans (Hrsg.): Von Richthofen bis Remarque. Deutschsprachige Prosa zum 1. Weltkrieg, Amsterdam/New York 2003, 85-96
Leisch-Prost, Edith/Pawlowsky, Verena: Kriegsinvalide und ihre Versorgung in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg, in: Kuprian, Hermann J. W./Überegger, Oswald (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung. Innsbruck 2006, 367-380
Patka, Marcus G.: Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors, Wien/Köln/Weimar 1997
-
Kapitel
- Träumer, die zu Helden werden
- „Eisfrontkämpfer“ – der Alpenkrieg als männliches Kräftemessen
- Der Krieg als „technoromantisches Abenteuer“
- Männlichkeiten – Hierarchien, Rivalitäten, Konkurrenzen
- Uniformierte Melancholiker – Problematisierung von Männlichkeit
- „Schwarze Verwesung“ – Soldaten als Opfer
- „Flucht ohne Ende“? – Heimkehr des Kriegers
- „Neue Männerrasse“? – Männlichkeitsideologien im Nachkriegsösterreich