„Eisfrontkämpfer“ – der Alpenkrieg als männliches Kräftemessen

In der österreichischen Erinnerungskultur der Nachkriegsjahre spielt der Alpenkrieg eine besondere Rolle. Die im Kampf gegen die Natur und den Feind „gestählten“ Männer erscheinen als „Märtyrerhelden“ und Vorbildfiguren im Prozess einer Sinnstiftung, die trotz der Niederlage den k. u. k. Soldaten heroische Züge, mythische Qualitäten und symbolisches Kapital zuschreibt. Die „Söhne der Alpen“ – Gebirgskrieger, Kaiserschützen, Tiroler Standschützen, die in der Stein- und Schneewelt der Alpenfront unbeschreiblichen Strapazen ausgesetzt wurden und sich bestens bewährt hatten, entsprachen ganz besonders dem Ideal der harten militärischen Männlichkeit.

Diesen starken Kern der Maskulinität inszenieren die Erinnerungsbücher des Schriftstellers und Kriegsteilnehmers Fritz Weber aus den frühen 1930er Jahren (Das Ende einer Armee (1931), Granaten und Lawinen (1932), Frontkameraden (1935) u.a.). In seinen Texten wird eine ideologisch gefärbte Männlichkeit konstruiert, die nicht nur Kraft, Tapferkeit, Mut und Opferbereitschaft, sondern auch „eiserne Nerven“ und die Fähigkeit, unbeschreibliche Spannung auszuhalten, einschließt: „Die Ohren sausen, die Adern in den Pupillen platzen, Blut tritt aus den Augen. Hin und wieder wird einem übel, und man muß Rum trinken, um es weiter auszuhalten.“ Weber gibt mehrere Beispiele eines „unerhörten Heldentums“, die der Vorstellung vom modernen, durch Zufall und Technik bestimmten Krieg Hohn sprechen und die uralte Kampfform Mann gegen Mann glorifizieren: „Aug‘ in Aug‘ mit unbekannten, schreckhaft verzerrten Gesichtern, das Wüten mit Messer, Sturmkeule, Spaten und Gewehrkolben, mit jeder Waffe, ja mit den bloßen Händen, die sich um die Gurgel des Gegners krampfen.“ Die Kleinkrieg-Gefechte werden als aufregender als große Schlachten charakterisiert, da sie den für den Heldentod konditionierten Gebirgskämpfern die Möglichkeit geben, die abenteuerlich-ritterliche Idee des Krieges zu verwirklichen. Webers archaisch-moderne Helden werden zur einzig richtigen, „wahren“ Männlichkeit stilisiert – sie repräsentieren eine privilegierte Elite –, die „Märtyrer der Beharrlichkeit“, die sich „in Fels und Eis“ bewährt haben und deren maskuline Identität durch nichts erschüttert werden kann. Folgerichtig können diese Männer in Webers Zukunftsvision auch in Friedenszeiten „Gipfel der Männlichkeit“ erreichen.

Die Überlegenheit der tapferen Alpenkrieger über die Kämpfer an anderen Fronten wird auch bei Luis Trenker thematisiert, der in den Dolomiten eingesetzt war und nachträglich am Mythos des Gebirgskrieges arbeitete. 1931 veröffentlichte Trenker den erfolgreich verfilmten Roman Berge in Flammen, dessen Protagonist, Florian Dimai, ein alpinistischer Kriegsheld mit den zentralen Attributen Stärke, Tollkühnheit und Schläue, unter enormem Risiko eine große individuelle Tat vollführt, den Kriegsverlauf beeinflusst und seine Kameraden vor dem sicheren Tod rettet. Trenker erzählt von einer harten Konfrontation mit dem Feind und der Gebirgsnatur („Ausgeliefert dem eisernen und weißen Tod, Kälte und Sturm, Steinfall, Blitz und Todessturz“), von männlicher Freundschaft, die den Krieg überdauert, weil sie auf der gemeinsamen Liebe zu den Bergen beruht, und nicht zuletzt von Liebe, Sehnsucht nach Mutter, Frau, Kind und von Heimatverbundenheit. Von der starken Emotionalisierung der heroischen Männlichkeit zeugt die Szene des Abschieds von der Frau: „Eine harte Hand wischt sich über tränennasse Augen. Dimai weint. Niemand sieht es. Er droht niederzubrechen. Doch die Kammeraden warten.“

Das „weiche“ Gemüt der österreichischen Helden verursacht, dass sie ihre sozialen Rollen als Söhne, Väter, Partner und Liebhaber nicht abstreifen, sondern vielmehr an der Front unter emotionalen Defiziten leiden. Die Vorstellung vom Kriegsende und der glücklichen Heimkehr besitzt auch für die Mutigsten und Härtesten einen hohen Grad an Attraktivität.

Bibliografie 

Eisterer, Klaus/Steininger, Rolf (Hrsg.): Tirol und der Erste Weltkrieg. Innsbruck/Wien 1995

Kuprian, Hermann J. W./Überegger, Oswald (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung, Innsbruck 2006

Waldner, Hansjörg: „Deutschland blickt auf uns Tiroler“. Südtirolromane zwischen 1918 und 1945, Wien 1990

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?