Die österreichische Literatur zum Ersten Weltkrieg weist kriegsbejahende und heroisierende Töne auf, doch begegnet man in ihr immer wieder Verweisen auf die sinnesfreudige Untertanenkultur, die theatralische Verspieltheit, die österreichische Sanftmut und die musische Gesinnung der „Träumer“ aus dem „Volk der Tänzer und Geiger“, die zu Helden werden, „wenn es gilt“ (Anton Wildgans).

„Der große Tag war gekommen, auch ich hatte ihn eigentlich herbeigewünscht. Attacke! Wer hätte sich vorgestellt, daß dies ritterliche Zauberwort mein schönes Dragonerregiment jäh zu einer blutigen Masse, Mann wie Pferd, verwandeln würde, in welcher immer noch mehr, wie von Gespenstern vorwärtsgepeitschte, scheu gewordene Rosse hetzten, um ebenso samt den Reitern im Feuer zusammenzubrechen. Keiner hatte mehr Herrschaft über sein Tier. Es ging viel zu schnell, als daß man an Heldentaten denken konnte. Nur nicht wie ein Wurmzertreten sein! Die Heißsporne unter uns sind in die Falle geraten, in die man sie gelockt. Ich habe genau das russische Maschinengewehr gesehen, bevor ich den dumpfen Stoß gegen meine Schläfe bekam.“

Aus: Kokoschka, Oskar: Schriften 1907-1955, hg. von Klaus Maria Wingler, München 1956, 69-76

Fragment aus der Erzählung „Die Verwundung“, in der Oskar Kokoschka seine Kriegserfahrungen verarbeitet

In Richard Schaukals Gedichten aus dem Band Eherne Sonette 1914 (1914) wollen sich die waffenbereiten Männer aus „Freude an den Waffentänzen“ „zusammenraffen“, um dem kaiserlichen Ruf zu folgen und zu siegen: „Sie fühlens alle: sich zusammenraffen,/ ist für das Reich Gebot. Das ist nicht Drill, der zwingt. Geballt spricht jede Faust: Erschwill,/ Nerv meines Herzens, uns den Sieg zu schaffen.“ Trotz des aggressiven Tenors dieser lyrischen Mobilmachung, die sogar die kleinsten Jungen „zum Trupp vereint“ ein Spiel mit Waffen treiben lässt, wird deutlich gemacht, dass die österreichischen Männer nicht vom Drill und Zwang geformt werden, sondern sich dem kaiserlichen Willen aus Überzeugung fügen. Die Perspektive der schönen Uniformen, männlichen Abenteuer, heroischen Reiterattacken erscheint vielen Männern als attraktiv. Auf den Ursprung dieser kriegsromantischen Legende verweist Stefan Zweig in seinen berühmten Erinnerungen Die Welt von gestern (1942): „Ein rascher Ausflug ins Romantische, ein wildes und männliches Abenteuer, – so malte sich der Krieg 1914 in der Vorstellung des einfachen Mannes, und die jungen Menschen hatten sogar ehrliche Angst, sie könnten das Wundervoll-Erregende versäumen (…)“.

Auch viele österreichische Schriftsteller lassen sich durch die romantischen Kriegsvisionen blenden und ziehen freiwillig in den Krieg. Der stolze Kavallerist Oskar Kokoschka hofft, wie er in seinen Erinnerungen Mein Leben (1971) bekennt, im fröhlich-abenteuerlichen Reiterkrieg „mit Trompeten und wehenden Fahnen heldenhaft den Feind zu überrennen“. Das „Wundervoll-Erregende“ der Kriegsvision verwandelt sich nicht nur bei ihm in geradezu unvorstellbare Herausforderungen an physische und psychische Kräfte, in infernalische Zustände an der Front, in wenig abenteuerliche Leid- und Schmerzerfahrungen und in die Gefahr, „zu sinken zu den getöteten Herden“ (Albert Ehrenstein).

Poetischer Begeisterung für militärische Männlichkeit begegnen wir in Rainer Maria Rilkes Fünf Gesängen (1914), die einen „Kriegs-Gott“ heraufbeschwören und den Männern ein „eisernes Herz“ zuschreiben. Rilkes Heroismusvariante ist allerdings gebrochen, weil sie den „Kampf-Schmerz“ integriert und die Perspektive des Leidens und des Opfers betont: „Euer eignes Irrn/ Brenne im schmerzhaften auf, im schrecklichen Herzen“. Österreichische Helden, die in den literarischen Texten nicht so sehr als geborene, sondern vielmehr als temporäre Krieger inszeniert werden, legen auch weiche Eigenschaften an den Tag, zeigen sich als schmerzempfindlich und kreatürlich mit der Natur verbunden und verlieren nicht gänzlich die Verbindung mit der zivilen Welt – einer Welt, die in vielen Texten ersehnte Heimat bleibt.

Bibliografie 

Cole, Laurence/Hämmerle, Christa/Scheutz, Martin (Hrsg.): Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), Essen 2011

Schmidt-Dengler, Wendelin: Ohne Nostalgie. Zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit, Wien/Köln/Weimar 2002

Wiltschnigg, Elfriede: Der „irrende Ritter“. Oskar Kokoschka, seine Beziehung zu Alma Mahler und der Erste Weltkrieg, in: Konrad, Helmut (Hrsg.): Krieg, Medizin und Politik. Der Erste Weltkrieg und die österreichische Moderne, Wien 2000, 373-391

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Stefan Zweig

    Stefan Zweig war – wie viele seiner Zeitgenossen – zu Beginn der Krieges euphorisiert, eine Haltung, die sich jedoch ab 1915 deutlich änderte. Nach seiner Tätigkeit im Kriegsarchiv nützte er 1917 eine Vortragsreise in die kriegsneutrale Schweiz, um zu exilieren.

  • Person

    Oskar Kokoschka

    Kokoschka gilt als führender Vertreter des Expressionismus. Als junger Mann wurde der Künstler im Ersten Weltkrieg als Frontsoldat eingesetzt und 1915 schwer verwundet.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?