Nachdem die Habsburger ihren Einfluss auf die deutschen Länder und in Italien einen Großteil ihrer Besitzungen verloren hatten, wandten sie sich dem Balkan zu. In Wiener Hof- und Regierungskreisen standen dabei Prestigefragen hoch im Kurs. Das „Ansehen der Monarchie“ war vor allem mit dem Bemühen verknüpft, Serbien in die Schranken zu weisen. Nahezu obsessiv auf dieses Ziel fixiert, war Österreich-Ungarn bereit, die internationalen Folgewirkungen weitgehend außer Acht zu lassen und letztlich den gesamteuropäischen Frieden zu gefährden.
Ein Versuch, nach dem Krieg Russlands gegen das Osmanische Reich 1877/78 das Gleichgewicht der Großmächte als Friedensordnung erneut – wie 1814/15 – zu etablieren, misslang letztlich nach einigen Verständigungsversuchen um 1900. Als sich die Habsburgermonarchie 1908 Bosnien-Herzegowina einverleibte, das es im Einvernehmen mit dem Berliner Kongress 1878 besetzt hatte, (das formal aber Teil des Osmanischen Imperiums geblieben war), kam es zur „Annexionskrise“ und zur schweren Verstimmung zwischen Wien und Sankt Petersburg.
Die Diplomatie der führenden europäischen Länder trug vor diesem Hintergrund zu keiner dauerhaften Entspannung bei. Vielmehr erwies sie sich als zahnlos, als 1912/13 Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro über den „kranken Mann am Bosporus“ herfielen, das verbliebene europäische Territorium des Osmanischen Reiches zum größten Teil an sich brachten und miteinander unter Einschluss Rumäniens und der Türkei über die „Beute“ in Streit gerieten.
Die serbisch-montenegrinischen Gebietsansprüche riefen schließlich die Donaumonarchie auf den Plan. Deren Truppenpräsenz in Bosnien-Herzegowina wurde verstärkt. Parallel dazu ventilierte Wien gegen die Expansion der Nachbarländer vor allem Richtung Adria den Plan der Gründung eines unabhängigen Albanien. Die darauf folgenden Rivalitäten mündeten in österreichische Ultimaten, um speziell Belgrad dazu zu drängen, seine Truppen von albanischem Gebiet zurückzuziehen.
Angesichts der möglichen Unterstützung Serbiens durch Russland war ein europäischer Krieg solcherart nicht mehr auszuschließen, wobei fast überall die Einstellung dominierte, notfalls die eigenen Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Selbst pessimistisch gestimmte Generäle entschieden sich demgemäß für das „va banque-Spiel“ eines Waffenganges. Die mentalen Vorbedingungen verschärften somit die politische, diplomatische und militärische Krise, welche die Lage auf dem Balkan zumindest mit ausgelöst hatte.
Afflerbach, Holger: Der Dreibund. Europäische Großmacht- und Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2002
Burkhardt, Johannes et al.: Lange und kurze Wege in den Ersten Weltkrieg, München 1996
Mombauer, Annika: The Origins of the First World War. Controversies and Consensus, London 2002
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Kapitel
- Ausblendung der Balkanfront
- Der Krieg vor dem Krieg
- Sarajewo und die Julikrise
- Ethnischer Konflikt und Brutalisierung der Kämpfe
- Ernüchterung der Militärs – Die gescheiterte „Strafexpedition“
- „Erfolge der Bündnispartner“
- Die Besatzungsregimes in verschiedenen Regionen
- Rumäniens Kriegseintritt und Niederlage gegen die Mittelmächte
- Griechenland an der Seite der Entente
- 1918 - Der Friede zwischen Rumänien und den Mittelmächten
- Konsequenzen des Krieges auf dem Balkan