„Jetzt oder nie!“ lautete die Devise, als die Nachricht von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin aus Sarajewo eintraf. Im Juli 1914 wurde deutlich, dass es nicht viel brauchte, um einen Flächenbrand auszulösen. Kriegswille und die Dynamik der Bündnissysteme standen höher im Kurs als Mäßigung und Kompromissbereitschaft.
Dennoch erwiesen sich nicht scheinbar unabwendbare Mechanismen als entscheidend, sondern klar identifizierbare und bei näherer Betrachtung keineswegs uniforme Handlungen von Schlüsselfiguren. So schien der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg zeitweilig britische Verständigungsversuche zu unterstützen, während im Habsburgerreich der Ministerpräsident Ungarns, Stefan Graf Tisza, zunächst von einem Waffengang des Habsburgerreiches abgeraten hatte. K. u. k. Außenminister Leopold Berchtold und Kaiser Franz Joseph ließen erst einmal Sondierungen im Hohenzollernreich durchführen, bis schließlich der österreichische Diplomat Alexander Graf Hoyos den sogenannten „Blankoscheck“ mitbrachte, also die Unterstützung Berlins für ein bewaffnetes Vorgehen der Donaumonarchie gegen Serbien, welches für das Attentat auf Franz Ferdinand verantwortlich gemacht wurde.
Anvisiert wurde damit vor allem eine Strafexpedition, ein kurzer und lokaler Konflikt, da speziell Wilhelm II. und sein Umfeld die Zurückhaltung der übrigen Großmächte für wahrscheinlich hielten. Tatsächlich aber handelte es sich dabei um eine schwerwiegende Fehlkalkulation. Die Habsburgerarmee erwies sich keineswegs gut genug vorbereitet, um einen raschen „Strafstoß“ gegen Serbien durchzuführen. Hinzu kam die zögerliche Haltung mancher Entscheidungsträger. Der k. u. k. Außenminister Berchtold wollte ein Ultimatum an Belgrad erst nach der Abreise des in Russland weilenden französischen Präsidenten abschicken, um Paris und St. Petersburg als den potenziellen feindlichen Alliierten keine Gelegenheit zu sofortigen Absprachen zu geben.
Als dann die serbische Regierung durchaus konziliant auf die Bedingungen des Habsburgerreiches antwortete, trat offen zu Tage, dass speziell Wien nicht viel an einer Beruhigung der Situation lag. Das Attentat von Sarajewo, bei dem das Thronfolgerpaar von den Kugeln des jungen bosnischen Serben Gavrilo Princip niedergestreckt worden war, hatte keineswegs direkt die große Katastrophe verursacht. Vielmehr diente es nun, nach fast einem Monat, als Vorwand, „endlich loszuschlagen“. Diese Haltung führte in wenigen Tagen, Ende Juli und Anfang August 1914, zum Flächenbrand, zum Krieg zwischen allen maßgeblichen Mächten Europas.
Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013
Mombauer, Annika: Die Julikrise. Europas Weg in den Ersten Weltkrieg, München 2014
Moritz, Verena/Leidinger, Hannes: Die Nacht des Kirpitschnikow. Eine andere Geschichte des Ersten Weltkriegs, Wien 2006
Stevenson, David: The Outbreak of the First World War: 1914 in Perspective, New York 1997
Strachan, Hew: The Outbreak of the First World War, Oxford/New York 2004
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Kapitel
- Ausblendung der Balkanfront
- Der Krieg vor dem Krieg
- Sarajewo und die Julikrise
- Ethnischer Konflikt und Brutalisierung der Kämpfe
- Ernüchterung der Militärs – Die gescheiterte „Strafexpedition“
- „Erfolge der Bündnispartner“
- Die Besatzungsregimes in verschiedenen Regionen
- Rumäniens Kriegseintritt und Niederlage gegen die Mittelmächte
- Griechenland an der Seite der Entente
- 1918 - Der Friede zwischen Rumänien und den Mittelmächten
- Konsequenzen des Krieges auf dem Balkan