Ausblendung der Balkanfront

Die Konzentration des Weltkriegsgedenkens auf die Westfront hat nicht nur den Kampf der Zarenarmee im Osten, sondern auch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Südosteuropa in den Hintergrund rücken lassen. Ähnliches galt lange Zeit auch für die Geschichtsschreibung, die sich nun dem Krieg am Balkan verstärkt zuzuwenden beginnt.

In den Ländern Südosteuropas nahm man indes die Geschehnisse von 1914 bis 1918 einigermaßen selektiv wahr. Von einem mehr oder minder nationalistischen Standpunkt aus wurde etwa das Verhalten der Mittelmächte auf Repression, Ausbeutung und Racheaktionen reduziert, während aus österreichischer Sicht die Aktionen der Habsburgerarmee überwiegend positiv beurteilt und etwaige Schattenseiten oft ausgeblendet wurden.

Obwohl kritischere Betrachtungen auch in der jüngeren Militärhistoriographie der Alpenrepublik seit den 1980er Jahren allmählich an Bedeutung gewannen, war es schließlich vor allem ein internationaler Trend, den teilweise bereits in das „Antiquariatseck der Historie“ gestellten Ersten Weltkrieg neuerlich mit größerer Aufmerksamkeit zu bedenken.

Unter solchen Umständen kam es erst in letzter Zeit zur Erschließung vieler Untersuchungsfelder aus dem Bereich der Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Dadurch wurde zwangsläufig das Interesse daran geweckt, ob oder wie bestimmte Aspekte –  nicht zuletzt auch des Alltagslebens beziehungsweise der „zivilen Seite“ des Krieges – in bislang zumindest diesbezüglich nicht berücksichtigten Milieus und Regionen hervortraten. Gerade die Möglichkeit, sich heute nicht nur über die Westfront detaillierter informieren zu können, führte zu einem Suchen nach anderen Kampfschauplätzen und einem bisher „unerzählten Krieg“, unter anderem in Polen, den westlichen Grenzterritorien des Zarenreiches, im Nahen Osten oder in den überseeischen Kolonialgebieten. In diesem Sinn stellte beispielsweise die „International Society for First World War Studies“ ihre Innsbrucker Konferenz im Herbst 2011 unter das Motto „Other Fronts“.

Schon zuvor wurde unter solchen Rahmenbedingungen auch eine stärkere Beachtung des „Ersten Weltkriegs auf dem Balkan“ eingefordert. Kongresse behandelten die Thematik seit dem Jahr 2000 ebenso wie Sammelbände und Monographien, die nicht zuletzt auf die Okkupationspolitik der Donaumonarchie und die Lage der Zivilisten während der Feldzüge oder Besatzungsregime genauer eingingen.

Bibliografie 

Angelow, Jürgen/Gahlen, Gundula (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011

Gumz, Jonathan E.: The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914–1918, Cambridge 2009

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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