Gesellschaftliche Trägerschichten des österreichischen Antisemitismus

In der Habsburgermonarchie konzentrierte sich die antisemitische Bewegung stark auf Wien. Studenten- und Handwerkerbewegungen übernahmen hier die Meinungsführerschaft und trugen den Antisemitismus in die Öffentlichkeit.


 

In der Habsburgermonarchie waren Teile des gebildeten Bürgertums Wortführer der antisemitischen Stimmung und prägten die judenfeindliche Rhetorik. Seine Werte, Einstellungen und kulturellen Muster waren durchzogen von antisemitischem Gedankengut, das sich auf weite Bevölkerungskreise ausbreitete.

Unter Studierenden stieß der Antisemitismus auf besonders große Resonanz. An der Medizinischen Fakultät der Universität Wien verbreitete sich ein rassistisch begründeter Antisemitismus, der in Demonstrationen gegen jüdische Kommilitonen gipfelte. Auf Plakaten wurde mit Parolen gegen Juden und Jüdinnen gehetzt: „Was der Jude glaubt, ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.

Bereits 1877 wurde Juden die Aufnahme in die Burschenschaft Teutonia verweigert, ein Jahr darauf schloss die Wiener Burschenschaft Libertas auch getaufte Juden aus ihren Reihen aus, um gegen die vermeintliche ‚Überfremdung‘ der Wiener Universitäten vorzugehen. In anderen Städten der Monarchie, wie Graz, Innsbruck und Prag, formierten sich ebenfalls antisemitische Studentenbewegungen, die sich 1896 im Waidhofener Verband zusammenschlossen und mit den Waidhofener Beschlüssen das antisemitische Prinzip der deutschnationalen Burschenschaften festschrieben.

Daneben formierten sich Handwerker zu judenfeindlichen Gruppierungen und agitierten gegen die angebliche Schädigung ihres Gewerbes durch jüdische Konkurrenten. Auch der Kleinadel und der Mittelstand griffen die judenfeindliche Haltung auf und im bäuerlichen Milieu stieß die antisemitische Hetze auf einen nahrhaften Boden.  Die Landwirte waren von der neuen Marktordnung besonders betroffen und ließen sich leicht mobilisieren. Für die Kommerzialisierung der landwirtschaftlichen Produktion und damit zusammenhängenden Phänomenen wie der finanziellen Abhängigkeit von Krediten und der Verschuldung von Höfen wurden „Wucher-Juden“ verantwortlich gemacht.

Allein in der Arbeiterschaft konnte sich der Antisemitismus nicht ausbreiten. Ihr galt eine antisemitische Haltung als Ausdruck konservativer Einstellung. Dementsprechend orientierte sich die Sozialdemokratie an den Werten des Liberalismus und verurteilte den Antisemitismus als rückständige Ideologie. Als Begleiterscheinung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung würde der Antisemitismus über kurz oder lang durch den Aufstieg des Sozialismus überwunden werden, so die Hoffnung. In ihrem Kampf gegen den Kapitalismus unterschieden die SozialdemokratInnen nicht zwischen jüdischem und nichtjüdischem Kapital. Von ihren GegnerInnen wurden sie deshalb als Erben des „Judenliberalismus“ verunglimpft und als „Judenschutztruppe“ diffamiert.

Bibliografie 

Bergmann, Werner/Wyrwa, Ulrich: Antisemitismus in Zentraleuropa. Deutschland, Österreich und die Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Darmstadt 2011

Häusler, Wolfgang: Toleranz, Emanzipation und Antisemitismus. Das österreichische Judentum des bürgerlichen Zeitalters (1782–1918), in: Drabek, Anna et al. (Hrsg.): Das österreichische Judentum. Voraussetzung und Geschichte, München 1988, 83-140

Lichtblau, Albert: Integration, Vernichtungsversuche und Neubeginn. Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart, in: Brugger, Eveline et al. (Hrsg.): Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006, 447-566

Shulamit, Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990

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Aspekt

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Antisemitismus

    Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Antisemitismus zur politischen Bewegung, die den Judenhass zum ideologischen Programm und zur Richtschnur für politische Aktionen erhob. Dahinter verbarg sich eine Ideologie, die Juden und Jüdinnen als „die Anderen“ stigmatisierte und als eine die Gesellschaft bedrohende Gefahr inszenierte. Während des Ersten Weltkrieges führte der „innere Burgfrieden“ zunächst zu einem Abflauen der antisemitischen Hetze, doch der ungünstige Kriegsverlauf förderte die antisemitische Ausschlusspolitik.