Jüdische Soldaten in der österreichisch-ungarischen Armee

Auf den Kriegsbeginn reagierte die jüdische Bevölkerung im Westen der Monarchie überwiegend mit Begeisterung. Sie sah darin eine Möglichkeit, ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen und antisemitischen Vorurteilen entgegenzutreten. Dahinter verbarg sich der Wunsch, durch die Demonstration jüdischen Engagements Zugehörigkeit und Respekt zu erfahren.


 

Die im Jahr 1788 auch für Juden eingeführte Militärpflicht in der Habsburgermonarchie wurde von den meisten jüdischen Gemeinden positiv aufgenommen. Sie interpretierten sie als wesentlichen Schritt auf dem Weg zur Integration und als Chance, durch die Übernahme bürgerlicher Pflichten gleiche Rechte zu erhalten.

Während des Ersten Weltkriegs dienten über 300.000 jüdische Soldaten in der österreichisch-ungarischen Armee, 25.000 davon als Reserveoffiziere. Im Vergleich mit anderen Krieg führenden Armeen oder auch dem zivilen Bereich waren jüdische Soldaten weniger antisemitischen Diskriminierungen ausgesetzt und judenfeindliche Anschuldigungen waren selten. Als eine gemeinsame, beide Teile der Doppelmonarchie umfassende Einrichtung verstand sich das habsburgische Heer als eine offene Institution, geprägt von ethnischer, nationaler und religiöser Diversität, in der Differenzen überbrückt und Antisemitismus offiziell nicht toleriert wurde. Auch wenn Juden nicht in die höchsten Ränge des Militärs aufsteigen konnten, so waren sie doch als Reserveoffiziere und im Offizierskorps der Armee stark vertreten.

Die Armeeführung unterstützte jüdische Soldaten darin, religiöse Traditionen aufrechtzuerhalten. In Zusammenarbeit mit lokalen jüdischen Vereinen organisierte sie die Bereitstellung koscheren Essens; in Regionen, in denen jüdische Gemeinden nur sehr vereinzelt zu finden waren, wie an der Italienfront, wurde den Soldaten das Menagegeld ausgezahlt, sodass sie koschere Nahrungsmittel selbst organisieren konnten. Ab 1916 verordnete die Armeeführung den Aufbau koscherer Küchen hinter den Frontlinien, sobald mehr als 100 jüdische Soldaten in einer Einheit dienten. Kleinformatige Gebetbücher, herausgegeben von der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, wurden an die Soldaten verteilt. Bis Kriegsende wirkten in der  österreichisch-ungarischen Armee 79 jüdische Geistliche, die Gottesdienste abhielten, Verletzte besuchten und die Übermittlung von Feldpost in hebräischer Sprache übernahmen. Ähnlich wie kirchliche Organisationen zu Weihnachten organisierten sie zu Chanukkah den Versand von Paketen an die Front.

Vielen Soldaten, gleich welcher Religionszugehörigkeit, gab das gemeinsame Begehen hoher religiöser Feiertage einen wichtigen Halt. Religiöse Symbole und Deutungsmuster halfen, mit dem Grauen des Krieges zurechtzukommen. Für jüdische Soldaten kam hinzu, dass die religiösen Rituale einen wichtigen Ausdruck ihrer jüdischen Identität darstellten und sie dadurch auch nach außen als Gruppe wahrnehmbar wurden. Zugleich erlebten viele Juden in der Armee erstmals einen engen Zusammenhalt mit nicht-jüdischen Kameraden. Die unterstützenden Maßnahmen der Armeeführung verstärkten ihre Loyalität gegenüber der Monarchie und sie wurden darin bestärkt, dass der supranationale Staat Juden und Jüdinnen vor antisemitischen Ressentiments schützen würde. Doch anders als erhofft führte die Einbindung ins habsburgische Heer nicht zu einer stärkeren gesellschaftlichen Integration.

Bibliografie 

Berger, Michael/Römer-Hillebrecht, Gideon (Hrsg.): Jüdische Soldaten – jüdischer Widerstand in Deutschland und Frankreich, Paderborn 2012

Lichtblau, Albert (Hrsg.): Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie, Wien/Köln/Weimar 1999

Rozenblit, Marsha L.: Reconstructing a National Identity. The Jews of Habsburg Austria during World War I, Oxford 2001

Schmidl, Erwin: Jüdische Soldaten in der k. u. k. Armee, in: Patka, Markus im Auftrag des jüdischen Museums Wien (Hrsg.): Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg, Wien/Graz/Klagenfurt 2014, 45-51

Schmidl, Erwin A.: Juden in der K. (u.) K. Armee 1788−1918. Österreichisch Jüdisches Museum, Eisenstadt 1989

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?