Freund oder Feind? Die Positionen der Südslawen im Ersten Weltkrieg

Die Serben galten bereits vor 1914 im Schatten der aggressiven Balkanpolitik Österreich-Ungarns während der Balkankrise ab 1908 als „Feinde“ der Habsburgermonarchie. Mit Ausbruch des Krieges wurden sie endgültig das vorrangige Hassobjekt der „patriotischen“ Agitation.

Nach dem Misslingen der österreichischen Offensive gegen Serbien im Sommer 1914 gerieten auch die „österreichisch-ungarischen“ Serben, die pauschal als „fünfte Kolonne“ Serbiens verdächtigt wurden, ins Visier der Behörden. Die Staatsmacht reagierte mit Repressalien: Serbische Organisationen wurden verboten, und als unzuverlässig eingestufte Vertreter des serbischen politischen und wirtschaftlichen Lebens als potenzielle Verräter in Anhaltelagern festgehalten oder vor Gericht gestellt. Selbst Angriffe auf Serben wurden nicht verhindert: In Bosnien kam es unter Duldung der k. u. k. Behörden zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Serben durch kroatische und muslimische Milizen.

Erst im Herbst 1915 kam Serbien unter die Kontrolle Österreich-Ungarns und seines Verbündeten Bulgarien. Serbien wurde okkupiert und unter Armeeverwaltung gestellt. Ein Aufstand im bulgarisch besetzten Teil Serbiens wurde 1917 brutal niedergeschlagen, was 20.000 Tote unter der Zivilbevölkerung forderte.

Während also die Serben als Feinde gebrandmarkt wurden, verhielt sich der Großteil der slowenischen, kroatischen und bosniakischen politischen Szene loyal zur Kriegspolitik der Habsburgermonarchie. Selbst als die entgegenkommenden Pläne eines südslawischen Trialismus, wie sie noch vor 1914 ventiliert worden waren, vollkommen vom Tisch waren und das Los der Südslawen in der skizzierten Nachkriegsordnung der Mittelmächte (Stichwort „deutsches Mitteleuropa“) keineswegs günstig schien, bildete sich keine aktive Gegnerschaft.

Der Grund dafür lag auch im Kriegseintritt Italiens 1915, denn angesichts der Expansionspläne Italiens im Adriaraum auf Kosten der Südslawen erhielt Wien für seine Kriegsziele nun die volle Unterstützung durch die kroatische und slowenische Öffentlichkeit. So betonte auch der „Südslawische Klub“, der sich im Zusammenhang mit der Wiedereinberufung des Reichsrates 1917 aus slowenischen, kroatischen und serbischen Abgeordneten formiert hatte, seine prinzipielle Loyalität zur Habsburgermonarchie, ohne dabei jedoch auf die alte (und wiederum von Wien und Budapest ignorierte) Forderung eines Zusammenschlusses aller südslawischen Gebiete zu einem autonomen Teilstaat im Rahmen der Monarchie zu vergessen.

Deutlich andere Sichtweisen herrschten unter den exilierten Vertretern, die nun die Initiative übernahmen und die Schaffung eines unabhängigen südslawischen Staates propagierten. In Paris, dem Zentrum der südslawischen Exilpolitik, wurde im November 1914 ein Ausschuss gegründet, der bald von der Frage der Position der Serben im Einigungsprozess beherrscht war. Teile des Exils favorisierten einen Anschluss an Serbien, was die großserbische Richtung implizierte, andere forderten ein föderalistisches Modell, bei dem die verschiedenen Sprachgruppen gleichberechtigt sein sollten. Diese Detailfragen waren für die über die Verhältnisse in Südosteuropa wenig informierte Öffentlichkeit in Westeuropa jedoch Nebensächlichkeiten. Nachteilig für die Interessen der Südslawen wirkte sich hier vor allem die politische Rücksichtnahme der Entente-Staaten auf den Bündnispartner Italien aus.

Ein bedeutender Faktor war die serbische Exilregierung auf Korfu, wohin sich die Vertreter des offiziellen Serbiens zusammen mit einem Drittel der Armee (150.000 Mann) nach der Okkupation des Landes durch die Mittelmächte geflüchtet hatten. In der Deklaration von Korfu wurde im Juli 1917 die Schaffung eines gemeinsamen Staates des „dreinamigen Volkes der Serben, Kroaten und Slowenen“, die Zweige einer gemeinsamen jugoslawischen Nation seien, beschlossen. Diese Perspektive wurde auch für die „österreichischen“ Südslawen immer anziehender – trotz aller Befürchtungen vor etwaigen großserbischen Aspirationen. Bis zum Sommer 1918 gingen die Vertreter fast aller politischen Richtungen der Südslawen auf Einigungskurs.

Dies brachte auch Bewegung in die heimische politische Szene: Am 6. Oktober 1918 konstituierte sich in Zagreb der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben, der sich zur Vertretung aller Südslawen der Doppelmonarchie erklärte und mit dem Aufbau eigener Strukturen begann, um für den sich abzeichnenden Zusammenbruch Österreich-Ungarns gerüstet zu sein.

Dann ging es Schlag auf Schlag, und für den Großteil der Menschen, die von den Geschehnissen überrollt wurden, überraschend. Am 29. Oktober 1918 wurde die Gründung des Staates der Slowenen, Kroaten und Serben („SHS-Staat“) ausgerufen, bestehend aus Territorien der kollabierenden Habsburgermonarchie. Der SHS-Staat war ein kurzlebiges Gebilde und verwaltete die Gebiete bis zur endgültigen Vereinigung mit dem Königreich Serbien, die am 1. Dezember 1918 erfolgte. Der neue Staat wurde als Königreich Jugoslawien schließlich im Frieden von Trianon 1920 staatsrechtlich bestätigt.

Die Rivalitäten zwischen Serben, Kroaten, Bosniaken und Slowenen blieben jedoch weiterhin für Jugoslawien prägend und führten zu nationalistischen Eskalationen sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens in den 1990er Jahren.

Bibliografie 

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1999

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Štih, Peter/Simoniti, Vasko/Vodopivec, Peter: Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur, Graz 2008

Suppan, Arnold: Die Kroaten, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 626–733

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