Die Frage der Autonomie: Die Kroaten als Spielball zwischen Wien und Budapest
Durch den 1867 geschlossenen Österreichisch-Ungarischen Ausgleich begann eine neue Epoche. Das Kräfteverhältnis zwischen den jungen Nationen in der Habsburgermonarchie wurde dadurch vollkommen verändert. Die Kroaten versuchten ihre Stellung im Vielvölkerstaat weiter auszubauen.
Unmittelbar nach dem Ausgleich zwischen der Wiener Regierung und den Führern der Magyaren folgte 1868 der Abschluss des Ungarisch-Kroatischen Ausgleichs. Es war dies ein notwendiges Entgegenkommen der Budapester Regierung gegenüber den entschieden föderalistisch eingestellten Kroaten. Die Bestimmungen blieben jedoch in vielen Detailfragen unklar. Bereits in der Auslegung der Natur des Vertrages bestanden große Unterschiede: Während die Kroaten darin eine Vereinbarung zwischen zwei Ländern erkennen wollten, handelte es sich aus der Sicht der Ungarn nur um eine Sonderregelung für eine teilautonome Provinz des ungarischen Staates.
Die ursprüngliche Forderung des kroatischen Landtages war eine vollkommene innere Autonomie Kroatiens und Slawoniens, die mit Ungarn nur durch einen gemeinsamen König verbunden sein sollten. Langfristig sollte auch die Möglichkeit einer Vereinigung des gesamten kroatischen Siedlungsgebietes inklusive Dalmatiens und Istriens (sie gehörten zur österreichischen Reichshälfte) sowie Bosniens (im Falle einer Eingliederung dieser osmanischen Provinz, was damals bereits im Raum stand) gewahrt bleiben.
Die ungarische Seite bot jedoch nur eine beschränkte Autonomie in den Bereichen Inneres, Kultus und Schulwesen an, während Wirtschaft, Finanzen und Verkehr weiterhin Sache der Budapester Regierung bleiben sollten. Eine vollkommene staatliche Selbstständigkeit Kroatiens wurde rundweg abgelehnt. Die gemäßigte Mehrheit im kroatischen Sabor sah sich schließlich gezwungen, diese Minimalvariante zu akzeptieren. Als Erfolg wurde zumindest die endgültige Einführung des Kroatischen als Gerichts- und Verwaltungssprache gefeiert.
Die radikalen kroatischen Nationalisten gaben sich aber nicht geschlagen und fanden Unterschlupf in der Militärgrenze, die in administrativen Belangen nicht zu Ungarn gehörte, sondern zentral vom Wiener Kriegsministerium verwaltet wurde. Es bildeten sich hier zahlreiche Widerstandsnester kroatischer und serbischer Separatisten, die gegen die Vertreter der ungarischen Staatsmacht operierten und lokale Aufstände entfachten. Budapest verlangte daraufhin die Auflösung der Militärgrenze, die sich mittlerweile strategisch überlebt hatte, und deren Rückführung unter Zivilverwaltung. Dies wurde schließlich schrittweise bis 1881 realisiert, da auch Wien eine Radikalisierung der Entwicklung verhindern wollte.
Die Spannungen zwischen Kroaten und Magyaren blieben bis zum Ende der Monarchie bestehen und entzündeten sich regelmäßig an den ungelösten Fragen der Auslegung der Autonomie. Budapest verdächtigte die Kroaten (teils zu Recht) insgeheim an einer Herauslösung ihrer Siedlungsgebiete aus Ungarn zu arbeiten. Die kroatischen Forderungen dienten den Wiener Zentralstellen des Gesamtstaates zuweilen auch als Rute im Fenster der magyarischen Nationalisten. Die Kroaten wurden hier zum Spielball zwischen Wien und Budapest.
Ein politisches Schlagwort in diesem Zusammenhang ist der Trialismus, worunter man die Schaffung eines südslawischen Teilstaates innerhalb der Monarchie verstand, der den bisherigen österreichisch-ungarischen Dualismus um eine dritte Komponente erweitern sollte. Die trialistische Lösung, bei der den Kroaten die Führungsrolle zugefallen wäre, fand um 1900 vor allem in der Person des Thronfolgers Franz Ferdinand einen prominenten Vertreter. Das Kalkül dahinter war, einerseits die Anziehungskraft eines südslawischen Staates unter serbischer Führung zu neutralisieren und andererseits die Position der Magyaren, die vom bisherigen Dualismus profitierten, zu schwächen. Dies sollte nach den Vorstellungen des Thronfolgers gleichzeitig mit einer Stärkung der gesamtstaatlichen Zentralmacht einhergehen, die aus dieser Konstellation den größten Nutzen gezogen hätte.
Gogolák, Ludwig: Ungarns Nationalitätengesetze und das Problem des magyarischen National- und Zentralstaates, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 1207–1303
Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005
Suppan, Arnold: Die Kroaten, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 626–733
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Kapitel
- Die Kroaten in der Habsburgermonarchie
- Getreue Rebellen: Die Rolle der Kroaten während der Revolution 1848
- Die Frage der Autonomie: Die Kroaten als Spielball zwischen Wien und Budapest
- Die Serben in der Habsburgermonarchie
- Serben alle und überall: Das nationale Programm der Serben
- Die Bosniaken in der Habsburgermonarchie
- Scharia unter dem Doppeladler: Österreich-Ungarn und die bosnischen Muslime
- Vom Illyrismus zum Jugoslawismus: Konkurrierende Konzepte einer „südslawischen Nation“
- Freund oder Feind? Die Positionen der Südslawen im Ersten Weltkrieg