Die Kroaten in der Habsburgermonarchie

Die Stärke der kroatischen Sprachgruppe in der Habsburgermonarchie wird um 1910 mit 2,8 Millionen Menschen angenommen, was einem Anteil von 5,3 % an der Gesamtbevölkerung entspricht.

Die Siedlungsgebiete der Kroaten waren in der Doppelmonarchie zwischen den beiden Reichshälften aufgeteilt: Kroatien, das Kernland der kroatischen Nationswerdung, und Slawonien lagen in der ungarischen Reichshälfte. In diesen beiden Ländern der ungarischen Krone, die über besondere Autonomierechte verfügten, waren die Kroaten mit 62,5 % die bestimmende Nationalität und Träger der Landesidentität.

Im eigentlichen Ungarn waren Kroaten als Minderheit in Südungarn am linken Ufer der Drau sowie in Westungarn entlang der Grenze zu Steiermark und Niederösterreich zu finden. Hier waren die Kroaten Nachfahren von Flüchtlingen, die im 15. und 16. Jahrhundert vor der osmanischen Expansion aus dem Westbalkan geflohen und planmäßig im westungarischen Raum (sowie zum Teil auch im östlichen Niederösterreich die March entlang bis Südmähren) angesiedelt worden waren. Der Großteil der kroatischen Neusiedler wurde im Laufe der Zeit assimiliert, nur im Kontaktraum der deutsch-ungarischen Sprachgrenze hielten sie sich als Burgenlandkroaten bis heute.

In Cisleithanien waren die Kroaten vor allem in Dalmatien dominant. Zusammen mit den Serben, die nicht gesondert ausgewiesen wurden, stellten die Serbokroaten hier 96,2 % der Bevölkerung.

Im österreichischen Küstenland bildeten die Kroaten in Istrien mit 43,5 % neben Italienern und Slowenen die stärkste Volksgruppe, während sie in Triest nur eine Minderheit von 1,3 % darstellten.

Im österreichisch-ungarischen Kondominium Bosnien und Herzegowina waren sie mit 22,9 % die drittgrößte Gruppe nach den Serben und Bosniaken.

Das historische Bewusstsein der modernen kroatischen Nation fußte auf dem mittelalterlichen „Dreieinigen Königreich“ Kroatien, Slawonien und Dalmatien. Dank der Existenz dieses protonationalen Staates konnten die Kroaten im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachgruppen der Region auf die Traditionen einer eigenen Staatlichkeit zurückblicken, auch wenn sich das kroatische Königtum seit 1102 in einer staatsrechtlichen Union mit Ungarn befand: Der jeweilige ungarische König war somit zugleich auch König von Kroatien.

Die einzelnen Teilregionen nahmen im Laufe der Geschichte eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Das eigentliche Kroatien mit der Hauptstadt Agram (kroat.: Zagreb) stand seit 1526 unter habsburgischer Herrschaft. Slawonien fiel im 16. Jahrhundert unter osmanische Oberhoheit und wurde erst nach der Verdrängung der Osmanen aus Ungarn um 1700 Teil der Habsburgermonarchie.

Die Türkenkriege, in denen Kroatien und Slawonien über Jahrhunderte Frontgebiete waren, veränderten den Charakter des Landes nachhaltig. Große Teile des Territoriums wurden durch die Einrichtung der Militärgrenze vom Rest des Landes („Zivilkroatien“) getrennt und als eigenständiger Verwaltungskörper unter die direkte Verwaltung der kaiserlichen Armee gestellt. Die Militärpräsenz und die Neukolonisation der verwüsteten Landstriche hinterließen auch Spuren in den ethnischen Verhältnissen der Region und schufen eine bunte Gemengelage von kroatischen und serbischen, aber auch ungarischen, deutschen und slowakischen Siedlungen.

Dalmatien nahm hingegen eine gänzlich andere Entwicklung und war von der jahrhundertelangen venezianischen Herrschaft und einem starken italienischen Kultureinfluss geprägt. Dalmatien kam erst durch die Vereinbarungen des Wiener Kongresses 1814/15 dauerhaft unter habsburgische Herrschaft.

Im Zeitalter der Nationswerdung standen die Kroaten am Beginn des 19. Jahrhunderts vor ähnlichen Problemen wie die meisten anderen kleineren Nationen im östlichen Zentraleuropa. Im lokalen Landadel war zwar ein kroatisches Nationsbewusstsein vorhanden, von einer modernen Nationalgesellschaft war man jedoch weit entfernt. Ein kroatisches Bildungsbürgertum und ein urbaner Mittelstand bildeten sich nur langsam, da die größeren Städte im Binnenland deutsch oder magyarisch dominiert, an der dalmatinischen Küste italianisiert waren. Die Verwaltungs- und Gerichtssprache sowie die Gelehrtensprache war im eigentlichen Kroatien das Lateinische, in Dalmatien das Italienische. Die kroatische Volkssprache wurde nur von der Kirche gepflegt: aus dem Klerus kamen auch die ersten Impulse für die Spracherneuerung. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts übernahm die junge bürgerliche Intelligenz die Führungsrolle aus den Händen des Adels. Dichter und Schriftsteller widmeten ihr Schaffen ganz der Nation und versuchten sich in der eben erst entwickelten modernen kroatischen Schriftsprache, die auf Betreiben des Sprachreformers Ljudevit Gaj (1809–1872), eines Slawo-Kroaten mit zeittypischer allslawischer Ausrichtung, der 1830 seine Kurze Begründung einer kroatisch-slawischen Rechtschreibung (Kratka osnova hrvatsko-slavenskoga pravopisanja) veröffentlichte, eine verbindliche Orthographie erhalten hatte.

Bibliografie 

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Suppan, Arnold: Die Kroaten, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 626–733

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.