Die Bosniaken in der Habsburgermonarchie

Im Rahmen der Gesamtmonarchie bildeten die Bosniaken, worunter man die südslawischen Muslime in Bosnien versteht, mit einem Anteil von nur 1,2% an der Bevölkerung des Reiches eine der kleinsten Volksgruppen.

Die Bosniaken stellten 1910 mit ca. 0,65 Millionen ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung von Bosnien und der Herzegowina. Ein Problem bei der Erfassung dieser Volksgruppe war, dass in der amtlichen Statistik nicht zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken unterschieden wurde, da sämtliche Sprecher dieser südslawischen Idiome unter dem Begriff Serbokroatische Sprachgruppe zusammengefasst wurden. Die Feststellung konkreter Zahlen war daher nur unter Berücksichtigung des religiösen Bekenntnisses möglich, wobei der Anteil der Bosniaken in Bosnien und Herzegowina mit dem Anteil der Muslime (= 32,3 %) gleichgesetzt wurde.

Die Bosniaken waren die Erben der osmanisch-türkischen Präsenz auf dem Balkan. Bosnien war seit dem 15. Jahrhundert unter türkischer Herrschaft gestanden und bildete einen wichtigen Vorposten für die osmanische Expansion in Südosteuropa. Die Existenz einer islamischen Bevölkerungsgruppe in Bosnien geht weniger auf eine planmäßige Ansiedlung von Muslimen, sondern vor allem auf die Konversion regionaler Eliten zum Islam zurück. Der bosnische Adel und die Stadtbürger unterwarfen sich der osmanischen Oberhoheit und nahmen den muslimischen Glauben an, um ihre Führungspositionen zu behalten. Sarajewo wurde als Hauptstadt und urbanes Zentrum der osmanischen Eliten ausgebaut.

Die Muslime blieben auch während der türkischen Herrschaft in Bosnien in der Minderheit, waren aber dominierend auf kulturellem und ökonomischem Gebiet. So war der Staatsdienst an das muslimische Bekenntnis gebunden. Auch lag der Großteil des Grundbesitzes in den Händen der reichen muslimischen Oberschicht, während die Mehrheit der christlichen Bevölkerung – orthodoxe Serben und katholische Kroaten – aus Kleinbauern und Pächtern bestand. Ein Erbe der osmanischen Herrschaft war auch die Präsenz sephardischer Juden, die nach der Reconquista aus Spanien vertrieben worden waren. Dank der osmanischen Toleranz in Religionsfragen entstanden bedeutende Gemeinden in den städtischen Zentren der Region.

Im 19. Jahrhundert machten sich die Stagnation und der Niedergang des Osmanischen Reiches aufgrund der peripheren Lage besonders in Bosnien spürbar. Die Autorität des Sultans bestand nur mehr pro forma, das Land war mehr oder weniger sich selbst überlassen. Die allgemeine soziale und wirtschaftliche Krise verstärkte sich durch die nationalen Forderungen der slawischen Balkanvölker. Als Ergebnis der Neuordnung des Balkans auf dem Berliner Kongress 1878 wurden Bosnien und die Herzegowina dem Habsburgerreich zugesprochen und von der österreichischen Armee okkupiert. Das Land blieb aber de iure weiterhin Bestandteil des Osmanischen Reiches und der Sultan Staatsoberhaupt, obwohl österreichisch-ungarische Behörden das Territorium verwalteten.

Die österreichische Administration tätigte einige Investitionen in die Infrastruktur des rückständigen Landes, das, zuvor an der Peripherie des Osmanischen Reiches gelegen, sich nun in einen Vorposten Österreich-Ungarns am Balkan gewandelt hatte. Die k. u. k. Behörden sahen in Bosnien eine Art Kolonie, und viele Maßnahmen trugen deutlich imperialistische Züge.

Das multiethnische Habsburgerreich sah sich nun mit einer weiteren Bevölkerungsgruppe konfrontiert. Die muslimischen Bosniaken, welche die lokalen Eliten bildeten, sollten für die Kooperation mit der Besatzungsmacht gewonnen werden. Die dominierende Stellung der muslimischen Bosniaken wurde daher nicht infrage gestellt. Dieser strukturkonservative Zugang der österreichischen Verwaltung war der Grund für soziale Konflikte, die den Zusammenhalt der heterogenen Bevölkerungsgruppen des Landes weiter schwächten.

Die schließlich 1908 erfolgte Annexion von Bosnien-Herzegowina durch Österreich-Ungarn führte zwar zu einer außenpolitischen Krise, für die Verhältnisse im Land brachte dies jedoch wenig Änderung. Der Landeschef als höchster Vertreter der Staatsmacht vor Ort war weiterhin ein Militär: Oskar Potiorek (1853–1933) hatte die Doppelfunktion eines militärischen Oberbefehlshabers und zugleich Chefs der zivilen Verwaltung inne. 1910 konstituierte sich erstmals ein Landtag nach dem Vorbild der anderen Kronländer. Dessen Zusammensetzung war ein Spiegelbild der multikonfessionellen Identität des Landes: Hohe religiöse Würdenträger und Vertreter kultureller Institutionen der verschiedenen Religionsgruppen hatten ständige Sitze. Die weiteren Abgeordneten wurden in drei, nach der Religionszugehörigkeit getrennten Kurien gewählt, deren Mandatszahl gemäß dem Verhältnis der Konfessionen in der Gesamtbevölkerung festgelegt wurde.

Bibliografie 

Buchmann, Bertrand Michael: Österreich und das Osmanische Reich. Eine bilaterale Geschichte, Wien 1999

Džaja, Srećko: Bosnien-Herzegowina in der österreichisch-ungarischen Epoche (1878–1918) (Südosteuropäische Arbeiten 93), München 1994

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1999

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

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Aspekt

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