Die Produktion von Rüstungsgütern in Wien

Munition, Waffen und Sprengstoff wurden am Wiener Standort nicht allein von spezialisierten Rüstungsbetrieben wie der G. Roth AG hergestellt. Auch eine ganze Reihe branchenfremder Unternehmen stellte seine Produktion teilweise auf diese Erzeugnisse um. Der erzielte Output blieb bis 1917 trotz der Rohstoffknappheit erstaunlich hoch. Erst die dramatische Verschlechterung der Versorgungslage der Arbeiterschaft ließ die Produktivität sinken.

Die Erfordernisse des Krieges machten gravierende strukturelle Anpassungen des Wiener Produktionssektors notwendig, welche in die Bildung eines Rüstungskomplexes mündeten. Dessen gesamtwirtschaftliche Bedeutung und Dimensionen werden anhand einiger Eckdaten deutlich. Wie eine im Auftrag des Kriegsministeriums durchgeführte Erhebung aus dem November 1916 belegt, waren zu diesem Zeitpunkt 1.587 Unternehmungen mit Firmensitz in Wien für die k. u. k. Heeresverwaltung tätig. Neben den Transportgewerben entfielen davon auf die Unternehmen der Rüstungs- und Maschinenindustrie die größten Anteile. Nach einer Schätzung, die im Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Kriegsleistungsbetrieben Wiens vorgenommen wurde, umfasste allein dieser Teil der Arbeiterschaft mit ihren Angehörigen rund eine halbe Million Menschen.

Die k. u. k. Armee ging mit einem großen Defizit an Geschützen, Artilleriemunition und einer importabhängigen, komplex organisierten Pulverproduktion in den Ersten Weltkrieg. Es mussten daher erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um den Output in diesen Produktionszweigen massiv zu steigern. Vom Rohstoffmangel war die Rüstungsproduktion vorerst nur bedingt betroffen. Ab Ende 1915 machte sich jedoch immer mehr eine Knappheit an einer ganzen Reihe von Buntmetallen bemerkbar. Insgesamt gelang es dennoch, die Metallversorgung der Heeresindustrie trotz des enorm gestiegenen Bedarfs bei relativ stabilen Preisen abzuwickeln. In der Eisen- und Stahlindustrie sorgte erst ab 1917 der Engpass an Kohle und Lebensmitteln für erhöhte Gestehungskosten und eine nicht ausreichende Befriedigung der Nachfrage. Dazu traten im letzten Kriegsjahr die immer stärker fühlbare Inflation und Betriebsstörungen durch Streiks.

Zum engeren Rüstungskomplex Wiens zählte die G. Roth AG. Sie produzierte Munitionsbestandteile in ihrer Fabrik am Rennweg und besaß auf der Erdberger Lände ein Metallwerk, ein Presswerk und eine Maschinenfabrik samt Stahlwerk. Das Unternehmen erzeugte Patronen, Patronenhülsen, Zündbestandteile, Geschosshülsen, Artilleriegeschosse, Sprengstoffe, Spezialmaschinen zur Herstellung von Waffen und Munition sowie Vormaterialien. Während des Krieges wurden eine Gießerei in Simmering und eine Motorenfabrik in Margareten zugekauft. Eine Textilfabrik in Liesing wurde in eine Munitionsfabrik umgewandelt. Am Höhepunkt der Rüstungsproduktion waren im gesamten Unternehmen 14.000–15.000 Personen beschäftigt.

Innerhalb der metallverarbeitenden Industrie zählten die Österreichischen Schmidt-Stahlwerke im 10. Bezirk zu den kriegswichtigen Betrieben. Auch branchenfremde Großbetriebe passten sich an die veränderte Nachfrage an: Die Österreichischen Siemens-Schuckert-Werke (Wien 20, 21), das größte elektrotechnische Unternehmen der Monarchie, produzierten nun auch Munition, ebenso die auf die Produktion landwirtschaftlicher Maschinen spezialisierte Hofherr-Schrantz-Clayton-Shuttleworth AG. Im Jahr 1916 hatten 47 größere österreichische Betriebe, vornehmlich im Raum Wien und im südlichen Niederösterreich gelegen, sich völlig oder teilweise auf die Produktion von Munition spezialisiert. Das traf auch auf zahlreiche kleinere metallverarbeitende Betriebe zu.

Bibliografie 

Dornik, Wolfram: Verwaltung des Mangels. Die österreichisch (-ungarisch)en Kriegszentralen 1914–1918, in: Schöpfer, Gerald/Stelzl-Marx, Barbara (Hrsg.): Wirtschaft. Macht. Geschichte. Brüche und Kontinuitäten im 20. Jahrhundert. Festschrift Stefan Karner, Graz 2012, 261–274

Mathis, Franz: Big Business in Österreich. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen, Wien 1987

Meißl, Gerhard: Betriebsstättenverteilung in der Rüstungsindustrie des Ersten Weltkrieges. Verteilung von für die Heeresverwaltung tätigen Betrieben des Sekundärsektors mit über 100 Beschäftigten 1916, in: Wiener Stadt- und Landesarchiv/Ludwig Boltzmann Institut für Stadtgeschichtsforschung (Hrsg.): Historischer Atlas von Wien, 5. Lfg., Wien 1994, Karte 2.3.2/8

Stadler, Gerhard A.: Die Rüstungsindustrien der Donaumonarchie und ihre Exporte nach Lateinamerika, 2. Auflage, Wien 1998

Weigl, Andreas: Kriegsindustrie. Die Wiener Wirtschaft im Dienst der Kriegsökonomie, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 220–231

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Der industrialisierte Krieg

    Der Erste Weltkrieg war ein Krieg des enormen Materialeinsatzes. Die Armeen mit ihren Massenheeren mussten ausgerüstet und versorgt werden. Die Materialschlachten wären ohne die großindustrielle Herstellung von Waffen und anderen kriegsnotwendigen Produkten unmöglich gewesen. Nur durch die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte die riesige Kriegsmaschinerie aufrechterhalten werden.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Revolutionäre Bewegungen, Streikbewegungen

    Die Umstellung der Produktionsstätten auf Kriegswirtschaft und der Einsatz der Männer an der Front bedingte, dass zunehmend Frauen in zuvor typischen Männerberufen, wie beispielsweise in Betrieben der Rüstungsindustrie, beschäftigt wurden. Frauen mussten auch die Versorgung ihrer Familien übernehmen und reagierten daher auch als Erste mit Protestaktionen auf die zunehmend prekäre Ernährungslage und auf extrem schlechte Arbeitsbedingungen in den Betrieben.

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.