Ein wichtiger Industriestandort – Wien vor dem Ersten Weltkrieg

Die Wiener Wirtschaft war in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs durch ein Zusammenspiel von traditionellen Klein- und Mittelbetrieben und der Expansion moderner Großbetriebe gekennzeichnet. Das betraf nicht nur den industriellen Sektor, sondern auch die unternehmensbezogenen Finanzdienste wie Banken, Versicherungen und Konzernzentralen.

Der Wirtschaftsstandort Wien war in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie durch eine äußerst dynamische Entwicklung gekennzeichnet. Im Gegensatz zu ihrem Image als klassische „Konsumtionsstadt“, in der es dank des Reichtums der vermögenden Schichten der Monarchie einen großen Markt für Luxusgewerbe und persönliche Dienstleistungen gab, wandelte sich die Stadt zu einer multifunktionalen Metropole, in der sich neben traditionellem Kleingewerbe und Kleinhandel immer mehr industrielle Großbetriebe und Finanzdienstleister ansiedelten. Zudem hatten auch viele Betriebe mit Produktionsstätten außerhalb Wiens ihre Verwaltungszentralen in der Hauptstadt des Vielvölkerreiches errichtet. Nach der Berufszählung des Jahres 1910 waren 49 % der Wiener Berufstätigen in der Industrie und im produzierenden Gewerbe, 24 % in Handel und Verkehrswesen und 11 % im öffentlichen Dienst und in den freien Berufen tätig. Weitere 14 % arbeiteten im häuslichen Dienst oder im Taglohn, 1 % in der Landwirtschaft. 

Die Voraussetzungen für den Industriestandort Wien waren also zu Kriegsbeginn nicht ungünstig. Die Metropole zählte gemeinsam mit dem angrenzenden Industriegebiet im südlichen Niederösterreich zum wirtschaftlichen Kern der Donaumonarchie, dessen Volkseinkommen pro Kopf sich durchaus mit dem entwickelter europäischer Industriestaaten messen konnte. Abgesehen von ihren überregionalen Funktionen im Bereich des Großhandels, Verkehrs und Kreditsektors verfügte die urbane Ökonomie über ein breites Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, was Standortvorteile für moderne industrielle Fertigungen bot. Durch den ab Mitte der 1890er Jahre einsetzenden Industrialisierungsschub hatten sich verstärkt Großbetriebe in den nunmehr eingemeindeten Stadtaußenzonen angesiedelt, sodass von einer Durchsetzung des Fabriksystems am Wiener Standort gesprochen werden kann. Zudem bestand in den traditionellen zentrumsnahen Gewerbebezirken eine große Zahl von gewerblichen Klein- und Mittelbetrieben, die teilweise als Zulieferer für die Großindustrie fungierten, teilweise die vielfältigen Marktnischen des großen innerstädtischen Absatzmarktes nutzten. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges kennzeichnete den Wiener Produktionssektor daher ein bipolares Neben- und Miteinander von Großindustrie und Kleingewerbe.

Bekleidungsindustrie, Metallverarbeitung und Maschinenbau – unter Einschluss einiger wichtiger Rüstungsunternehmen – expandierten nach der Jahrhundertwende erheblich und selbst im Vergleich zu anderen Industriezonen der Monarchie deutlich überproportional. Daneben zählten auch die aufstrebenden Leichtindustrien, vor allem die Elektro- und die Chemische Industrie, zum nunmehrigen Kern des Wiener Produktionsstandorts.

Bibliografie 

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