Kriegsgewinner und Kriegsgewinnsteuer

In der Wiener Kriegsindustrie wurden zum Teil ganz erhebliche Gewinnsprünge gemacht, was die Regierung 1916 veranlasste, eine abgestufte Kriegsgewinnsteuer einzuführen. Diese Maßnahme, steigende Lohnkosten und die Inflation sorgten jedoch im letzten Kriegsjahr für einen Gewinneinbruch, was die „Kriegsbegeisterung“ der Unternehmensleitungen merklich dämpfte.

Auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auf- und Abschwünge und des sich gegen Kriegsende abzeichnenden Zusammenbruchs gab es in der Wiener Wirtschaft ziemlich klar zu verortende ökonomische Gewinner und Verlierer des Krieges. Zu den größten Heereslieferanten, die bis Ende 1917 Aufträge im Gesamtvolumen von über 100 Millionen Kronen erhalten hatten, zählten nicht nur überwiegend Betriebe mit Verwaltungssitz in Wien, sondern auch jene, die in Wien Fabriken betrieben. Die Pulverfabrik G. Roth AG verbuchte Aufträge in der Höhe von 379 Millionen Kronen, die AG Dynamit Nobel von 145 Millionen, die C.T. Petzold & Co., Munitions- und Barackenhersteller, von 145 und die Vereinigten Jutefabriken von 138 Millionen. Das größte Geschäftsvolumen lief jedoch über den Lebensmittelgroßhändler und Konservenproduzenten B. Wetzler & Co. Er kam auf Aufträge von 1,2 Milliarden Kronen (das entsprach rund 290 Millionen „Friedenskaufkraftkronen“) und stellte damit sogar die Skoda-Werke in Pilsen weit in den Schatten. Zumindest temporär, in einigen Fällen auch nahezu bis Kriegsende erzielten Textil- und Lederindustriebetriebe, Waffen und Munitionsproduzenten, Maschinen-, Lokomotiven- und Autoindustrie sowie die Chemische Industrie hohe Gewinne. Hingegen brachen die Gewinne der Papierindustrie, beim Baugewerbe, bei den Banken und Verkehrsunternehmen während des Krieges gravierend ein.

Besonders rosige Bilanzen wiesen Rüstungsproduzenten wie die G. Roth AG auf. Ihr Reingewinn betrug 1916 und 1917 etwa das Dreifache der Siemens-Schuckert-Werke und der Floridsdorfer „Wiener Lokomotiv-Fabriks-AG“. Wie ein Vergleich des Reingewinns der Jahre 1913 und 1917 bei den großen Unternehmen der Elektroindustrie zeigt, erhöhte sich dieser bei einigen Großunternehmen jedoch nur nominell. Umgerechnet in Goldkronen, verbuchten nur wenige auch real Gewinnsprünge nach oben; im Fall der Österreichischen Brown-Boveri-Werke (10. Bezirk) waren diese allerdings exorbitant.

Die hohen Gewinne mancher Branchen veranlassten im Jahr 1916 die Einführung einer Kriegsgewinnsteuer. Diese progressiv von 5 bis 45% gestaffelte Steuer wurde auf im Vergleich zur Vorkriegszeit höhere Geschäftserträge von Gesellschaften und Mehreinkommen von Einzelpersonen in den Jahren 1914–1916 erhoben, wobei der Zeitraum 1. Jänner 1913 bis 31. Juli 1914 als Basis genommen wurde. Die Kriegsgewinnsteuer erbrachte bis Ende 1919 als ertragreichste direkte Steuer Österreichs 1,8 Mrd. Kronen. Ihre Einführung, steigende Lohnkosten und die Geldentwertung sorgten schließlich dafür, dass die Reingewinne der Kriegsindustrie bereits 1917 real merklich schrumpften. Mit der Rüstungshochkonjunktur war es nun vorbei. Zudem drosselten im letzten Kriegsjahr die Regierungen die Aufträge der Heeresverwaltung an die Rüstungsindustrie und suchten durch schärfere Kalkulationen den Finanzbedarf zu reduzieren. Angesichts schwindender Gewinnchancen hielt sich das „patriotische“ Engagement der Unternehmensleitungen nunmehr in Grenzen. Deshalb versuchten einige Unternehmen sich noch während des Krieges umzuorientieren.

Bibliografie 

Grandner, Margarete: Kooperative Gewerkschaftspolitik in der Kriegswirtschaft. Die freien Gewerkschaften Österreichs im ersten Weltkrieg (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 82), Wien/Köln/Weimar 1992

Grandner, Margarete: Hungerstreiks, Rebellion, Revolutionsbereitschaft, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 558–565

Winkler, Wilhelm: Die Einkommensverschiebungen in Österreich während des Weltkrieges, Wien/New Haven 1930

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Der industrialisierte Krieg

    Der Erste Weltkrieg war ein Krieg des enormen Materialeinsatzes. Die Armeen mit ihren Massenheeren mussten ausgerüstet und versorgt werden. Die Materialschlachten wären ohne die großindustrielle Herstellung von Waffen und anderen kriegsnotwendigen Produkten unmöglich gewesen. Nur durch die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte die riesige Kriegsmaschinerie aufrechterhalten werden.