Antisemitismus: Eine historische Definition

Erstmals in der deutschen Presse im Jahr 1879 aufgekommen, wurde der Begriff Antisemitismus rasch popularisiert. Er steht für die Ideologisierung der Judenfeindschaft, die die „Judenfrage“ zur Lösung sozialer und politischer Krisen stilisierte.

Im deutschen Sprachraum wurde seit den 1880er Jahren der rassisch begründete Begriff Antisemitismus zum politischen Schlagwort. Deutsche Antisemiten grenzten ihre säkular begründete Judenfeindlichkeit damit begrifflich von der religiösen Judenfeindschaft ab. Mit dieser Wortschöpfung kam ein Wandel zum Ausdruck, der bereits im frühen 19. Jahrhundert eingesetzt hatte und Juden und Jüdinnen nicht mehr primär über ihre Religionszugehörigkeit definierte, sondern die Juden als eigene Gruppierung und Angehörige eines Volk fasste. Im Kontext des aufkommenden Nationalismus entstand die rassistische Überzeugung, wonach die jüdische Bevölkerung eine fremde „Rasse“ sei, welche die nationale Einheit bedrohte. Als Reaktion darauf formierten sich antisemitische Bewegungen mit der Zielsetzung, die Gleichstellung und Integration von Juden und Jüdinnen zu verhindern beziehungsweise zu widerrufen.

Damit markierten die 1880er Jahre einen Umschwung in der öffentlichen Meinung. Der Antisemitismus wurde zu einer sozialen Bewegung, die zunehmend das Alltagsleben der Juden und Jüdinnen prägte. Getragen wurde der Wandel von einer antisemitischen Rhetorik, die gegen die jüdische Bevölkerung mobilisierte, ein antisemitisches Weltbild propagierte und von immer weiteren gesellschaftlichen Kreisen unterstützt wurde.

Dieser Stimmungswandel vollzog sich in allen Ländern Zentraleuropas. Die disproportionale Verteilung der jüdischen Bevölkerung auf bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche wurde als Argument für die judenfeindliche Haltung herangezogen und Juden und Jüdinnen wurden als Verursacher sozialer Probleme hingestellt. Der von dem deutschen Journalisten und Schriftsteller Otto Glagau geprägte Ausspruch „Die soziale Frage ist Judenfrage“ verdeutlicht diese Koppelung. Die antisemitischen Agitationen fanden ihren Ausdruck auch in Wortverbindungen wie „Börsen-, Warenhaus- oder Geldjuden“. Daneben wurde die Ausgrenzung auf Basis nationalistischer Argumente vorangetrieben. Trotz jahrzehntelanger Assimilation wurden Juden und Jüdinnen im ausgehenden 19. Jahrhundert in der erstarkten antisemitischen Bewegung als „Fremde“ kategorisiert.

Die antisemitische Rhetorik fand Einzug in die Politik und ein andauernder Diskurs der Ausgrenzung prägte das Gesellschaftsleben. Das Zusammenspiel von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus führte zu antijüdischen Aggressionen, die sich in Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung im gesamten Staatsgebiet entluden.

Bibliografie 

Bergmann, Werner/Wyrwa, Ulrich: Antisemitismus in Zentraleuropa. Deutschland, Österreich und die Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Darmstadt 2011

Bergmann, Werner: Geschichte des Antisemitismus, München 2002

Lichtblau, Albert: Integration, Vernichtungsversuche und Neubeginn. Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart, in: Brugger, Eveline u.a. (Hrsg.): Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006, 447-566

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Entwicklungen

  • Entwicklung

    Antisemitismus

    Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Antisemitismus zur politischen Bewegung, die den Judenhass zum ideologischen Programm und zur Richtschnur für politische Aktionen erhob. Dahinter verbarg sich eine Ideologie, die Juden und Jüdinnen als „die Anderen“ stigmatisierte und als eine die Gesellschaft bedrohende Gefahr inszenierte. Während des Ersten Weltkrieges führte der „innere Burgfrieden“ zunächst zu einem Abflauen der antisemitischen Hetze, doch der ungünstige Kriegsverlauf förderte die antisemitische Ausschlusspolitik.