„Flucht ohne Ende“? – Heimkehr des Kriegers

1923 hat der österreichische Schriftsteller Joseph Roth die Voraussetzungen und Mechanismen der Restauration einer soldatischen Männlichkeit geschildert.

Der Roman Das Spinnennetz zeigt einen enttäuschten Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg, der in Berlin in die Umtriebe rechtsradikaler Organisationen und Geheimbünde gerät und immer mehr Macht gewinnt. Auch in Roths Rechts und Links (1929) wird die Rückkehr nach Deutschland und Identifikation mit einer antisemitischen und völkischen militärischen Organisation inszeniert. Roths kritische Bücher zeigen die bedrückende Lage der heimkehrenden Offiziere, die eine Narration von der Männlichkeitskrise verbreiten und ihr Heimkehrererlebnis massiv politisieren. Die im Krieg erlittenen seelischen Kränkungen und Verletzungen, von denen sich viele ehemalige Soldaten nicht zu befreien vermögen, finden in Roths Romanen eine deprimierende Verlängerung in der zivilen Nachkriegswelt. In Zipper und sein Vater (1928) verschafft der Vater dem Sohn zwar einen Arbeitsplatz, doch der ehemalige Soldat „taugt nicht“ für eine zivile Berufstätigkeit und muss bald kündigen. Seine Versuche, sich für die Karriere seiner Frau zu engagieren, scheitern ebenfalls, und er führt eine marginale Existenz als Musikclown in einem Varieté. Und ein Blick in die Kriegsvergangenheit führt zur folgenden Reflexion: „Das Militär war auch sinnlos. Aber man sah einen Vorgesetzten, er ersetzte den Sinn. Man wurde bestraft, belohnt, jeden Tag und jede Stunde. Man hatte  einen Befehl, er ersetzte das Ziel. Im Amt aber siehst du nicht, wohin der Akt kommt, wozu er gemacht wird, für wen.“ Franz Ferdinand Trotta aus Die Kapuzinergruft (1938) fürchtet sich nicht vor dem Tod, hat aber Angst vor einem Büro, einem Notar, einem Posthalter. Auch Theodor Lohse aus Das Spinnennetz (1923) und Brandeis aus Rechts und Links (1929) leiden unter dem Mangel an Geborgenheit, Kameradschaft und Routine des Alltags in der Armee. Die unterbrochenen militärischen Karrieren und der Verlust des symbolischen Kapitals haben ein Gefühl der Enttäuschung, Entwurzelung und Heimatlosigkeit zur Folge. Die Lage der Generation, die von der Hoffnung auf Ankunft lebt, wird in Roths Die Flucht ohne Ende (1927) auf den Punkt gebracht: „Jetzt aber war Franz Tunda ein junger Mann ohne Namen, ohne Bedeutung, ohne Rang, ohne Titel, ohne Geld und ohne Beruf, heimatlos und rechtlos.“

Die Schwierigkeiten, sich in das Nachkriegsleben zu integrieren, führen nicht selten zu tragischen Komplikationen – wie in Andreas Latzkos Erzählung Heimkehr (1918). Sie zeigt die Rückkehr eines verstümmelten Veteranen in die Heimat, zu seiner Braut – allerdings mit einem anderen Gesicht, verunstaltet, mehrmals operiert. Der Invalide wird von den Nachbarn nicht mehr erkannt und stellt sich ängstlich die Frage, wie seine Frau reagieren wird. Angesichts ihrer Untreue ersticht er seinen Konkurrenten und wird darauf von der Frau getötet. Der Kriegsheimkehrer aus Ernst Weiss‘ Erzählung Franta Zlin (1919) fühlt sich seiner Männlichkeit beraubt. Seine Liebesunfähigkeit ist Konsequenz einer in einer Materialschlacht erlittenen Verletzung – in einem Schützengraben wird ihm sein Geschlecht von einem Schrapnell zerfetzt. Derart „entmannt” und dauernd invalid, will er seine schöne junge Frau nicht mehr wiedersehen. Obwohl diese sehr entgegenkommend ist und ihn umsorgt, wird sie schließlich von Franta in den Selbstmord getrieben. Er selbst versucht sich bei einer Prostituierten zu „ermannen“ und begeht eine kriminelle Tat. Aus einem ursprünglich „sanften” Mann und leidenschaftlichen Liebhaber wird ein Gewalttäter, ein rücksichtsloser Frauenmörder.

Bibliografie 

Heering, Cornelia: Die Kultur des Kriminellen. Literarische Diskurse zwischen 1918 und 1933. Ernst Weiß, Berlin 2009

Klaß-Meenken, Petra: Die Figur des schwachen Helden in den Romanen Josephs Roths, Aachen 2000

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Heimkehr

    Im November 1920 erscheint im „Neuigkeits-Welt-Blatt“ ein Bericht über die glückliche Heimkehr aller sieben Brüder der Familie Baumgartner. Sechs Brüder waren bereits unmittelbar nach Kriegsende unbeschadet von der Front zurückgekehrt, während Otto Baumgartner nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft im Jahre 1920 in Wien eintrifft. Ob verwundet oder unversehrt, aus feindlichem Gewahrsam oder nicht, waren Heimkehrer vor die Schwierigkeiten der Wiedereingliederung in die zivile Nachkriegswelt gestellt.

  • Objekt

    Kriegsinvalidität

    Wie kein anderer Krieg zuvor ließ der Erste Weltkrieg ein Heer von verwundeten, erkrankten und für ihr Leben gezeichneten Männern zurück. Mechanische Behelfsmittel wie diese Schreibhilfe sollten die körperliche Funktionalität der Kriegsbeschädigten wiederherstellen und deren Reintegration in den Arbeitsmarkt gewährleisten. Wie groß die Zahl derer aber tatsächlich war, die verwundet oder erkrankt von der Front zurückkehrten, war selbst Jahre nach dem Krieg nicht bekannt. 1922 dürften in Österreich etwa 143.000 Kriegsbeschädigte gelebt haben.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?