Uniformierte Melancholiker – Problematisierung von Männlichkeit

In Joseph Roths Roman Die Kapuzinergruft (1938) wird eine literarische Diagnose des oberflächlich-leichtsinnigen Profils der Soldaten aus der „Walzerstadt“ Wien formuliert: „Zu sehr verwöhnt waren sie in dem von den Kronländern der Monarchie unaufhörlich gespeisten Wien, harmlose, beinahe lächerlich harmlose Kinder der verzärtelten, viel zu oft besungenen Haupt- und Residenzstadt.“

In der österreichischen Literatur zum Ersten Weltkrieg begegnet man oft Inszenierungen einer solchen fragilen, gebrochenen, weichen Männlichkeit der Offiziere und Soldaten, die eine ambivalente Einstellung zur Macht, Herrschaft und Gewalt entwickeln und sich in ihrer militärischen Existenz nicht wohlfühlen. Sie sind oft Verlierer in einem Spiel, das sie eigentlich gewinnen müssten. Sie trauern und leiden an der Welt, aber diesem Leiden kann man einen gewissen Lustgewinn nicht absprechen.

Joseph Roths Radetzkymarsch (1932) zeigt einen einsamen, labilen, melancholischen Offizier, für den Frauen eine Alternative zur militärischen Disziplin und zur Langeweile des Kasernenlebens darstellen und der anscheinend nur durch seine Uniform aufrechterhalten wird. Darin unterscheidet er sich nicht besonders von den anderen Offizieren, den schwachen, unmoralischen, geselligen Typen, die sich zwischen Casino, Kaffeehaus und Bordell bewegen und den Eindruck erwecken, als wären sie „nur noch nachlässige Träger ihrer Uniformen“. Die Teilnahme am Großen Krieg wird als Bankrott der prächtigen militärischen Männlichkeit dargestellt. Der resignativ-schwache und stark emotional geprägte Enkel des Helden von Solferino Carl Joseph von Trotta stirbt einen unheroischen Tod – gleichsam „friedlich“ und „nicht mit der Waffe“, sondern mit zwei Eimern, in denen er seinen Soldaten Wasser bringen will. Solche fragwürdigen Männerbilder sind auch für andere Romane von Joseph Roth charakteristisch, etwa für Tarabas (1934), dessen Protagonist, einer der mutigsten Offiziere in seinem Regiment, allmählich seine militärische Haltung verliert. Die harte Maskulinität des sich wie ein Kriegsgott gebärdeten Offiziers erweist sich als eine fiktive „Substanz“, als eine Art Maskerade, ein Betrug: „Er ist in Wirklichkeit niemals ein Held gewesen.“

Eine Metamorphose des auf seine Tauglichkeit stolzen Soldaten schildert auch der Roman eines andern österreichischen Schriftstellers Ödön von Horváth Ein Kind unserer Zeit (1928). Der Verwandlungsprozess wird durch eine Verletzung ausgelöst und führt zur Erkenntnis, dass die Soldaten nur „Lügner“, „elende Räuber“ und „feige Mörder“ sind: „Was war ich für ein Lügner! Jawohl! Ein feiger Lügner – denn wie bequem ist es doch, seine Untaten mit dem Vaterland zu verhüllen, als wär das ein weißer Mantel der Unschuld!“ Direkt im Kontext des Krieges ist der Entwicklungsroman Die große Phrase (1919) von Rudolf Jeremias Kreutz entstanden, der einen wachsenden Widerstand eines anfänglich mit Kriegsenthusiasmus angesteckten Mannes inszeniert. Der angeblich „schöne“ und „abenteuerliche“ Krieg erweist sich als Schule der unerträglichen Strapazen und des Grauens, denen der mit einem Hang zur Rührseligkeit und Zärtlichkeit ausgestattete Offizier nicht gewachsen ist. Er wird ein Schwärmer, Grübler, Phantast, und aus Träumern Helden zu machen, erweist sich als ein aussichtsloses Unternehmen. Nach der erlittenen Verwundung entwickelt sich der Protagonist zu einem leidenschaftlichen Pazifisten.

Bibliografie 

Forster, Edgar J.: Unmännliche Männlichkeit. Melancholie – „Geschlecht“ – Verausgabung, Wien/Köln/Weimar 1998

Margetts, John: Die Vorstellung von Männlichkeit in Joseph Roths Radetzkymarsch, in: Stillmark, Alexander (Hrsg.): Joseph Roth. Der Sieg über die Zeit. Londoner Symposium, Stuttgart 1996, 79-93

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  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?