Die Konsequenzen des Ersten Weltkrieges standen einer raschen Integration der Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft oft im Wege. Neben weit verbreiteten wirtschaftlichen und sozialen Problemen ergaben sich in verschiedenen Ländern zudem weltanschaulich motivierte Konflikte.
Unmittelbar nach dem Ende des vierjährigen Massenschlachtens gehörten Heimkehrer von den Kampfschauplätzen und aus den früheren Feindstaaten oft zu den Randgruppen der Gesellschaft. Gemeinsam mit Invaliden und Arbeitslosen bildeten sie speziell im Donauraum ein Protestpotenzial, das bei den politischen Unruhen in Österreich und der Errichtung der Räterepublik in Ungarn eine wesentliche Rolle spielte.
Ehemalige Kriegsgefangene schlossen sich allerdings selten dauerhaft linksradikalen beziehungsweise kommunistischen Parteien an. Lediglich vereinzelt entschieden sie sich, die alte Heimat endgültig zu verlassen, um in der Sowjetunion einen Neubeginn zu versuchen. Dass sich für die Mehrheit der Heimkehrer langfristig Probleme bei der Eingliederung in das Berufs- und Privatleben ergaben, belegen überdies entsprechende Hilfsmaßnahmen unterschiedlicher Vereinigungen ehemaliger Kriegsgefangener.
Diese bemühten sich darum, den Erlebnissen „in Feindeshand“ Sinn zu verleihen. Die Erinnerungsarbeit, die sich in zahlreichen Vereinszeitschriften, Memoiren und Ausstellungen manifestierte, geriet in Deutschland und Österreich allerdings zunehmend in das Fahrwasser autoritärer Bewegungen. Unter derartigen Umständen wollte man das „Leid hinter Stacheldraht“ vor allem als Ausgangspunkt für einen verstärkten Patriotismus sehen. Heimatgefühl und „nationale Solidarität“, hieß es demgemäß, seien in der „Ferne“ unter katastrophalen Bedingungen „gereift“.
Dennoch reichten auch diese Annäherungen an den „Zeitgeist“ der 1930er Jahre nicht aus, um das Thema Gefangenschaft in das Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken. Bemerkenswert auffällig wurde die Problematik vor allem in totalitären Regimen verschwiegen. Die Nationalsozialisten etwa betrieben mentale Kriegsvorbereitung und hegten daher wenig Sympathie für eine Darstellung der Gefangenschaft, die bei aller Stilisierung des Lagers als Mikrokosmos völkischer Solidarität noch immer die schrecklichen Folgen eines bewaffneten Kräftemessens vor Augen führte.
Zu viel Irritierendes hatte demnach auch der italienische Faschismus in den Gefangenenschicksalen erkannt. Unter Mussolini wurde die Thematik daher ebenso tabuisiert wie in der UdSSR. Immer wieder tauchte die Vorstellung von feigen und verräterischen Soldaten auf, die sich auf die Seite des Gegners geschlagen hätten. Darüber hinaus argwöhnten die Sowjetbehörden, frühere Gefangene seien unter „fremder Kontrolle“ mit „bourgeoisem“, antibolschewistischem Gedankengut „angesteckt“ worden. Aus dieser Perspektive überrascht es nicht, dass im sowjetrussischen Strafrechtskodex aus dem Jahr 1926 die Gefangennahme mit Vaterlandsverrat gleichgesetzt wurde, auf den die Todesstrafe stand. In den „Säuberungen“ unter Stalin schließlich wurden ehemalige Kriegsgefangene als verdächtig eingestuft. Sie gehörten damit zu den ersten Opfergruppen des „großen Terrors“ ab 1936.
Leidinger, Hannes/Moritz, Verena: Gefangenschaft, Revolution, Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa 1917–1920, Wien/Köln/Weimar 2003
Moritz, Verena/Leidinger, Hannes: Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005
Oltmer, Jochen (Hrsg.): Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien 2006
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Kapitel
- Zahlen und Dimensionen der Kriegsgefangenenproblematik
- Gefangennahme
- Die Situation der Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn
- Humanitäre Katastrophen in der Gefangenschaft
- Hilfsmaßnahmen für Kriegsgefangene
- Nationale Propaganda unter Kriegsgefangenen
- Das Verhältnis der Kriegsgefangenen zur Zivilbevölkerung
- Die Bedeutung der Gefangenenarbeit
- Zeugen und Akteure der Revolution
- „Rücktransport“ aus der Gefangenschaft
- Schwierige Heimkehr