Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen setzte sich das Ziel, die zahlreichen Unzulänglichkeiten des Kriegsgefangenenwesens zu beseitigen. In letzter Konsequenz scheiterten jedoch alle Initiativen an den Dimensionen der Problematik.
Erschwert wurden karitative Aktivitäten zugunsten der „Soldaten hinter Stacheldraht“ auch durch das Verhalten der Kriegsparteien. In allen Staaten kam es zu Repressionen gegenüber den Lagerinsassen, missachtete man völkerrechtliche Reglements, scheiterten Verbesserungsvorschläge an der Forderung nach „Reziprozität“, also nach Gegenseitigkeit. Auch ein vorzeitiger Austausch von Soldaten und insbesondere von Invaliden ließ sich lediglich in bescheidenem Rahmen verwirklichen.
Auch neutrale Schutzmächte, welche die Interessen von Staatsbürgern verfeindeter Länder vertraten, waren zunächst mit verschiedenen Hindernissen konfrontiert. Allerdings zeigten die Neutralen anscheinend nicht immer das angemessene Interesse an dieser Aufgabe. Spanische Diplomaten in Deutschland und Österreich-Ungarn, die sich um die Angehörigen der Zarenarmee kümmern sollten, bemängelten zum Beispiel die Zustände an den Internierungsorten kaum. Gleichermaßen zurückhaltend agierten andererseits auch die Vereinigten Staaten, denen das Schicksal der Soldaten der Habsburger- und der Hohenzollernarmee im Romanowimperium anvertraut war.
Wesentlich wirkungsvoller als die behäbige Vermittlungstätigkeit von Botschaften und Konsulaten erwies sich die Tätigkeit verschiedener Organisationen des Roten Kreuzes. Dessen Internationales Komitee verfügte über eine Zentralauskunftsstelle mit einer eindrucksvollen Personenkartei und entsandte Delegationen in die kriegführenden Länder. Genutzt wurden zudem die Kontakte der europäischen Hocharistokratie, deren Angehörige in den einzelnen nationalen Hilfsverbänden meist über erheblichen Einfluss verfügten.
Vor diesem Hintergrund kamen auch die Besuchsreisen russischer und deutscher beziehungsweise österreichisch-ungarischer Fürsorgeschwestern zustande. Sie zeigten wohl mitunter außerordentlichen Einsatz und persönlichen Mut, bewirkten jedoch durch die sogenannte „Visitierung“ der Lager längerfristig keine prinzipielle Besserung der Verhältnisse. Noch am effizientesten arbeiteten im Unterschied dazu schwedische Abgesandte, die mehr als tausend Wagenladungen „Liebesgaben“ – meist Pakete mit Nahrungsmitteln und Bekleidung – aus dem Hohenzollernreich und der Donaumonarchie unter den im Zarenreich befindlichen Soldaten der Mittelmächte verteilten.
Als neutrale Schutzmächte fungierten Skandinavier ab 1917 schließlich auch in Russland. Dänemark und Schweden waren durchaus Wunschkandidaten der Regierungen in Wien und Berlin, deren Behördenapparate sich von nun an zudem mit den Auswirkungen des Sturzes der Romanowdynastie und der wachsenden Unzufriedenheit in der eigenen Bevölkerung auseinandersetzen mussten.
Zu den kritischen Privatinitiativen gehörten übrigens immer mehr sogenannte „Angehörigenverbände“, die sich um das Schicksal ihrer Familienmitglieder in der Gefangenschaft sorgten und den zuständigen Zentralbehörden sowie den mit ihnen kooperierenden Institutionen zur „Evidentführung und Auskunftserteilung hinsichtlich der in Feindeshand geratenen Militärpersonen“ verstärktes Engagement abverlangten. Den offiziellen Stellen standen hierfür allerdings immer weniger Mittel zu Verfügung. Die geforderte Verbesserung der Kriegsgefangenenhilfe verhinderte letztlich jene ökonomische, soziale und politische Krise, an deren Ende der Zerfall der Donaumonarchie stand.
Leidinger, Hannes/Moritz, Verena: Gefangenschaft, Revolution, Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa 1917–1920, Wien/Köln/Weimar 2003
Oltmer, Jochen (Hrsg.): Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien 2006
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Kapitel
- Zahlen und Dimensionen der Kriegsgefangenenproblematik
- Gefangennahme
- Die Situation der Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn
- Humanitäre Katastrophen in der Gefangenschaft
- Hilfsmaßnahmen für Kriegsgefangene
- Nationale Propaganda unter Kriegsgefangenen
- Das Verhältnis der Kriegsgefangenen zur Zivilbevölkerung
- Die Bedeutung der Gefangenenarbeit
- Zeugen und Akteure der Revolution
- „Rücktransport“ aus der Gefangenschaft
- Schwierige Heimkehr