Neutralität - Meinungsverschiedenheiten im Apenninkönigreich
Zwischen August 1914 und Mai 1915 kam es in Italien zu intensiven Debatten über die Haltung des Landes gegenüber dem beginnenden „Völkerringen“. Wo man hinsah, auf Konferenzen und Versammlungen, in Zeitungsartikeln und Proklamationen, Demonstrationen und Aufmärschen waren gegensätzliche Meinungen zum Kriegseintritt zu finden.
„Interventionisten“, also jene, die sich gegen eine weitere Unparteilichkeit aussprachen, waren dabei alles andere als im Vorteil. Mit Giovanni Giolitti verfügten die Verfechter der Neutralität über einen mächtigen Fürsprecher ihrer Anliegen. Katholiken, Sozialisten und Liberale erblickten in ihm die Galionsfigur einer Schattenregierung, welche sich zudem von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt fühlte.
Hinzu kam, dass die Kriegsbefürworter keineswegs eine homogene Gruppe bildeten. Neben Republikanern, Reformern beziehungsweise radikalen Sozialisten, Anarchisten oder Futuristen taten sich in diesem Lager auch militärische und politische Führer hervor, denen prinzipiell ein gehorsames „Volk von Untertanen“ genügte anstatt eines „wehrhaften Staatsbürgers im Wertekrieg“, wie er „progressiveren Kräften“ vorschwebte. Nüchterne Realpolitik leitete zudem die nationalistische Rechte, deren „Interventionismus“ in Verbindung mit einem hoch brisanten Irredentismus auf territoriale Expansion und die „Befreiung italienischer Länder“ abzielte.
Unter dem Schlagwort des „sacro egoismo“ bemühte sich Ministerpräsident Antonio Salandra um die Vereinigung der verschiedenen Strömungen. Die „legittimi interessi“ Italiens schienen einer Verständigung vor allem mit Österreich noch nicht im Wege zu stehen – besonders wenn man dafür einige Gebietsabtretungen erhielt. Zunächst aber blieb die Wirkung aus. Im Ausland bestätigten die Losungen der Römischen Regierung eher Vorurteile über deren Machiavellismus . Im Inland wiederum scharten sich interventionistische Kreise und Protagonisten der nationalen Selbstbestimmung dennoch nicht um Salandra, während seine Haltung für die Friedensbefürworter einigermaßen beunruhigend klang.
Obwohl die Donaumonarchie ihrerseits alles daransetzte, die öffentliche Meinung in Italien zu beeinflussen und proösterreichische oder zumindest „neutralistische“ Kreise zu stärken, verloren die Anhänger der Unparteilichkeit zunehmend an Bedeutung. Nach einer letzten Kraftprobe, die auf einen Zweikampf zwischen Salandra und Giolitti hinauslief und fast eine Staatskrise heraufbeschwor, setzten sich schließlich auch durch den Druck der Straße die interventionistischen Strömungen durch.
Hürter, Johannes (Hrsg.): Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915, München 2007
Isnenghi, Mario/Rochat, G.: La grande guerra 1914–1918, Mailand 2000