Österreich und Italien am Ende des Ersten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren
Die schwer belasteten Beziehungen zwischen beiden Ländern besserten sich ansatzweise erst angesichts späterer ideologischer und machtpolitischer Zielsetzungen. Die faschistische Regierung von Benito Mussolini, die sich um Einfluss im Donauraum bemühte und dabei speziell autoritäre Regime und antisozialistische beziehungsweise antimarxistische Bewegungen unterstützte, stieß in Österreich allerdings auf dauerhafte Vorbehalte. Ressentiments gegen den „vertragsbrüchigen, unverlässlichen und perfiden Nachbarn“ wurden angesichts der Bedrohung des „austrofaschistischen Ständestaates“ durch das nationalsozialistische Deutsche Reich sogar wieder verstärkt.
Im Unterschied zur Dekade nach 1945 prägten nach 1918 Streitkräfte ausländischer Mächte kaum das öffentliche Bild in der Alpenrepublik. Die Kontrolle der alliierten Siegermächte erfolgte gewissermaßen durch eine indirekte, anonyme Einschränkung staatlicher Souveränität, nicht durch eine große Zahl von militärischen Verbänden. Verhältnismäßig kleine Truppenkontingente quartierten sich im „Hinterland“ ein. Italien bildete in dieser Hinsicht trotzdem eine gewisse Ausnahme. Abgesehen von seinen Streitkräften in Nordtirol, erregten vor allem die Forderungen des Apenninenkönigreiches nach Wiener Kunstschätzen die Gemüter.
Obwohl die Südtirolfrage für dauerhaften Konfliktstoff sorgte, kam es zwischen Wien und Rom in größeren geostrategischen Belangen aber auch zu Annäherungen. Dabei erwies sich Italiens Großmachtstreben, das sich sowohl in einem mediterranen Imperialismus als auch in einer verstärkten Orientierung auf Zentraleuropa manifestierte, als besonders wichtig. Gegen den Kontrahenten an der Adria, das südslawische Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, kurz „SHS-Staat“, richtete sich etwa eine Defensivallianz mit Österreich während des „Kärntner Abwehrkampfes“. Unter Mussolini erhielt diese Kooperationsbereitschaft deutlich aggressivere und betont antimarxistische Züge. Der „Duce“ setzte auf die Zusammenarbeit mit konservativen, autoritären und faschistischen Kräften in Ungarn und Österreich. Deren Regierungschefs, Gyula Gömbös und Engelbert Dollfuß, unterzeichneten in diesem Sinn 1934 die sogenannten „Römischen Protokolle“, ein sowohl gegen Berlin als auch gegen Paris gerichtetes Freundschaftsbündnis.
Schon kurz danach führte jedoch Italiens Kolonialkrieg gegen Äthiopien, das damals Abessinien hieß, zur internationalen Ächtung des faschistischen Regimes. Mussolini fand allein in Hitler einen Verbündeten. Im Schatten der Achse Rom-Berlin gab Italien seine Schutzmachtfunktion für die souveräne „austrofaschistische“ Regierung auf. Der Weg zum „Anschluss“ 1938 war geebnet, zumal auch die Westmächte aufgrund der gleichzeitigen Verständigung zwischen Wien und Berlin im Juli 1936 keinen Anlass für Interventionen sahen.
Leidinger, Hannes/Moritz, Verena: Die Republik Österreich 1918/2008. Überblick, Zwischenbilanz, Neubewertung, Wien 2008
Rauscher, Walter: Österreich und Italien 1918–1955, in: Koch, Klaus et al. (Hrsg.): Von Saint Germain zum Belvedere. Österreich und Europa 1919–1955, Wien 2007, 186-209