Der „Erzfeind“ Italien

Die nationale Einigung Italiens erfolgte im 19. Jahrhundert nicht zuletzt im Widerstreit mit der Donaumonarchie. Der 1882 geschlossene Dreibund zwischen dem Apenninenkönigreich, Deutschland und Österreich-Ungarn änderte an dem grundsätzlichen Misstrauen zwischen Wien und Rom wenig. An eine echte „Waffenbrüderschaft“ an der Seite des Hohenzollernreichs war aufgrund der latent gespannten bilateralen Beziehungen zu Österreich-Ungarn nicht zu denken.

In dieses Bild passte auch der Kleinkrieg der Geheimdienste. Italienische Kundschafter verzichteten 1902 offiziell auf jede Spionage gegen Frankreich und wandten sich umso engagierter dem Habsburgerreich zu. Die dortigen Nachrichtenoffiziere griffen den „Fehdehandschuh“ auf. Ab 1908 und mit größerem Erfolg ab 1912 machte es sich das k. u. k. Evidenzbüro, der militärische Geheimdienst Österreich-Ungarns, zur Aufgabe, die Chiffrenschlüssel des Apenninenkönigreiches in die Hand zu bekommen. Begleitet wurde dieser Schlagabtausch von größeren und kleineren Reibereien, zum Beispiel von Klagen der „Austroitaliener“, von Grenzkonflikten, „irredenten Vorfällen“ und „Spionageaffären“, wobei bereits der Ankauf von Almhütten im Hochgebirge durch Bürger des südlichen Nachbarstaates die Gemüter der Tiroler Bevölkerung erhitzte: Man glaubte, diese würden als „Spähposten“ genützt.

Unter solchen Umständen überrascht es nicht, dass auch in der italienischen Öffentlichkeit antiösterreichische Stimmen an Einfluss gewannen. Von dieser allgemeinen Stimmung waren auch die Meinungsbildungsprozesse innerhalb der politischen Eliten des Königreiches geprägt. Ministerpräsident Antonio Salandra und sein Außenminister San Giuliano trafen unmittelbar vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges die Entscheidung, Österreich-Ungarn nicht im Kampf gegen Serbien zu unterstützen, sondern stattdessen auf Distanz zum Dreibund zu gehen.

Dennoch war damit noch kein Beschluss für einen Kriegseintritt auf der Seite der Entente gefällt. Salandra taktierte zunächst noch und stand einer offenen Intervention gegen die Mittelmächte zögerlich gegenüber. Der nach wie vor einflussreiche Ex-Premier Giovanni Giolitti bemühte sich darum, sein Land aus den bewaffneten Auseinandersetzungen herauszuhalten.

Bibliografie 

Isnenghi, Mario/Rochat, G.: La grande guerra 1914–1918, Mailand 2000

Leidinger, Hannes/Moritz, Verena: Der Erste Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2011

Moritz, Verena/Leidinger, Hannes: Oberst Redl. Der Spionagefall, der Skandal, die Fakten, St. Pölten/Salzburg/Wien 2012

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Nationale Standpunkte zum Krieg

    Die Habsburgermonarchie als staatlicher Rahmen für die kleineren Nationalitäten Zentraleuropas wurde bis 1914 kaum ernsthaft in Frage gestellt, weder von innen noch von außen. Bei Ausbruch des Krieges betonten die Vertreter der Nationalitäten zunächst ihre Loyalität zu den Kriegszielen der Habsburgermonarchie.