Der Ruf nach dem „guten“, „moralisch hochstehenden“ Film, der abseits der Unterhaltung und Schaulust Bildungsinhalte vermittelte, wurde mit der verstärkten Verbreitung des Mediums um 1906 immer lauter. Eine vom Bildungsbürgertum initiierte Debatte über die Gefahr des „Schundfilms“ hatte die Entstehung von Reformkinobewegungen zur Folge. Diese traten für ein „besseres“, „kulturell höherstehendes“, da belehrendes, Filmschaffen ein.

Inhaltlich wandten sich die Reformkinobewegungen mit aller Heftigkeit gegen das sogenannte „Kinodrama“, worunter man im Allgemeinen Filme mit Spielhandlung, im Speziellen jedoch „Liebesdramen“, Kriminalfilme, Abenteuer- und Sensationsstreifen verstand. Die Reformer erkannten gemeinhin eine „Gefährdung der ungebildeten Masse“, wobei sie Kinder, Jugendliche und Frauen in den Fokus nahmen. Man konstatierte gar eine „Kinosucht der Frauen“, die quer durch alle Gesellschaftsschichten ging. Andererseits mobilisierten gerade Frauenverbände gegen „kinematographische Unsittlichkeiten“. 1909 wandte sich die „Katholische Frauenorganisation Mährens“ gegen die sogenannten „Pariser Abende“ oder auch „Herrenabende“, die man als Herabwürdigung der Frau deklarierte. Der Druck dieser Verbände, die sich gegen die Verbreitung von „Schmutz und Schund“ einsetzten, wurde ab 1909 immer stärker und zwang die Behörden letztlich zu handeln. Schon im Sommer des Jahres 1909 kam es in Böhmen zum Verbot aller „Kinematographen-Theater-Bilder, welche das Anstands- und Schamgefühl verletzten“.

Im Zentrum des Interesses stand aber stets der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor „gesellschaftlich und moralisch destabilisierenden Potentialen“, die man in vielen Filmwerken wie auch im kinematographischen Aufführungsrahmen erkennen wollte. So kritisierten Schulvertreter unter anderem auch die Vortragsformen und -inhalte der Kinoerklärer, die allzu oft „gegen die guten Sitten verstoßen würden“. 1916 wurde schließlich aufgrund zunehmender Beschwerden vonseiten der Schulbehörden ein Besuchsverbot kinematographischer Vorstellungen für Jugendliche unter 16 Jahren erlassen. Davon ausgenommen waren nur schulische Veranstaltungen. Hierin sahen die Kinoreformer auch den sinnvollen Einsatz des Mediums – es sollte Wissen visuell vermitteln. So erklärte etwa das Kinoblatt „Der Komet“ (Nr. 1184, 1907) in einem Bericht über „Die Erziehung durch den Kinematographen“: „Veranstaltung von Schülervorstellungen mit gewähltem Programm, Einführung der lebenden Photographie als Lehrmittel für die Schule und besonders Förderung des Interesses an Films belehrender Art – diesem Zweck sollen Aufnahmen aus der Naturgeschichte, der Industrie und der Völkerkunde dienen, die zweifellos von größerem Werte und besserer erzieherischer Wirkung sind, als viele der Geschmacklosigkeiten, die heute geboten werden.“

Ganz in diesem Sinne erfolgte 1912 in Wien die Gründung der „Zentralstelle für wissenschaftliche und Unterrichtskinematographie“, die alle existenten „wissenschaftlichen Filme in Evidenz führte“, für deren Verleih sorgte und die Produktion entsprechenden Materials förderte. Die Einführung von Schülervorstellungen in den „bestehenden besseren Kinos“ wurde in Kooperation mit dem „Reichsverband der Kinematographenbesitzer“ für den Herbst 1912 angekündigt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Kinoreformbewegung wiederbelebt und konnte auch in Österreich Erfolge verzeichnen: So kam es im Wien der 1920er Jahre zur Errichtung einer Reihe von Großschulkinos.

Bibliografie 

Achenbach, Michael: Die Geschichte der Firma Saturn und ihre Auswirkungen auf die österreichische Filmzensur, in: Achenbach, Michael/Caneppele, Paolo/Kieninger, Ernst: Projektionen der Sehnsucht. Saturn. Die erotischen Anfänge der österreichischen Kinematografie, Wien 1999, 75-102

Ballhausen, Thomas: Geschnitten, Verboten, Vernichtet. Notizen zur österreichischen Filmzensurgeschichte bis 1938, in: Biblos 51 (2002), 203-214

Schlüpmann, Heide: Zur heimlichen Komplizenschaft zwischen Kinematografie und Frauenemanzipation in der wilhelminischen Gesellschaft, in: Schlüpmann, Heide: Die Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos, Frankfurt am Main 1990, 8-23

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?