Nach dem Krieg – Die Staatliche Filmhauptstelle: Verwalter des Vergangenen, Mahner der Gegenwart, Propagandist einer neuen Idee

Die Staatliche Filmhauptstelle sollte in den ersten Jahren der jungen Republik zum wichtigsten Produzenten des kritischen non-fiction- sowie des wissenschaftlichen und belehrenden Films werden. Aber auch gut umgesetzte Unterhaltungsfilme und Streifen, die für den Kleinstaat Österreich warben, zählten zum Repertoire dieser Institution.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Errichtung der Ersten Republik stellte sich die Frage, was mit den Filmbeständen und Einrichtungen des Kriegspressequartiers  geschehen sollte. Schon im Dezember des Jahres 1918 sprachen sich Vertreter der Hochschulen, der Wiener Urania sowie der graphischen Lehr- und Versuchsanstalt für die Erhaltung und die Weiterführung des Instituts unter den neuen politischen Bedingungen aus.

Dem Wunsch der Bildungslobby wurde letztlich entsprochen. Im März 1919 erfolgte die Neugründung der (nun direkt der Staatskanzlei unterstellten) Institution unter dem neuen Namen „Staatliche Filmhauptstelle“ (FHS). Die Aufgabenbereiche der neuen Einrichtung wurden wie folgt dargelegt: „Die FHS hat vornehmlich Films (sic!) zu erzeugen, die zu wissenschaftlichen und Unterrichtszwecken, zur Förderung der Volksbildung und Volkswohlfahrt, zur Werbearbeit für deutschösterreichische Interessen aller Art im In- und Auslande, insbesondere zur Bekanntmachung gemeinnütziger Unternehmungen, zur Hebung des Fremdenverkehrs, des heimischen Gewerbes, der Landwirtschaft, Technik und Industrie und dergleichen benötigt werden.“

Tatsächlich produzierte die FHS auch „künstlerisch hochwertige Unterhaltungsfilme“, zu welchen man allen voran die erfolgreichen Serienfilme des Komikergespanns „Cocl & Seff“ zählte. Das thematische Spektrum der von der FHS erzeugten Filme war insgesamt breit angelegt. Die von der Behörde ausgegebenen Produktionslisten wiesen die Rubriken „Naturwissenschaft“, „Länderkunde“, „Medizin“, „Handwerk, Technik, Gewerbe und Industrie“, „Landwirtschaft“, „Turnen, Tanz und Sport“, „Geschichte“, „Naturgeschichte“ und „Spielfilme“ aus. Volksbildungs- und öffentlichen Unterrichtsanstalten wurden die Filme gegen ein geringfügiges Entgelt zur Verfügung gestellt, während die heimischen Kinobetreiber die Streifen der FHS nur selten in ihr Programm aufnahmen – ausgenommen es handelte sich um explizit unterhaltsame Streifen.

Die Filme der FHS warben allen voran auf unterschiedliche Weise für die neue, junge Republik. Der mit Förderung der US-amerikanischen Kinderhilfs-Aktion gedrehte Film „Das Kinderelend in Wien“ (A 1919) brachte in eindringlichen Bildern die Folgen des Krieges und die Notlage der österreichischen Bevölkerung – vor allem der Kinder – zum Ausdruck und zielte auf weitere Unterstützungsmaßnahmen ab. Die medizinischen Filme, wie etwa der Streifen „Die unblutige Reposition einer angeborenen Hüftverrenkung durch Adolf Lorenz“ (A 1922), bannten bedeutende Arbeiten und Fortschritte der Wiener Medizinischen Schule auf Zelluloid und hatten den Auftrag, die wissenschaftlichen Erfolge als originär österreichisch auszuweisen.

Bibliografie 

Moritz, Verena: Experimente, in: Moritz, Verena/Moser, Karin/Leidinger, Hannes: Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918–1938, Wien 2008, 33-54

Thaller, Anton: Rudolf Walter und die Cocl-Film, in: Krenn, Günter/Wostry, Nikolaus (Hrsg.): Cocl & Seff. Die österreichischen Serienkomiker der Stummfilmzeit, Wien 2010, 63-93

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.